Und dann noch dies 2



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Und dann noch dies 2

Texte, Gedanken, Essays, einfach aus Lust am Schreiben

Die spinnen …


bei Asterix und Obelix natürlich die Römer. Ein gallisches Völklein, das sein Dorf, ihre besondere Art zu denken und zu handeln mit Erfolg verteidigt. Verteidigt gegen die moderne Welt. Eine neue Welt in der

es Ordnung und Gesetz gibt, dafür keinen Wildschweinebraten.


Zuweilen scheint mir deren Lebensidylle und Denkungsart sehr vertraut, aber vielleicht hat das mit der gemeinsamen ADN zu tun; schliesslich waren die «Helvetier» quasi ein Brudervolk. Allerdings ein ver-ratenes, wurden sie doch auf dem Durchmarsch in Richtung Provence allein gelassen. Anstatt zu helfen, wurde dem Abschlachten aus dem sicheren Eichenwald zugeschaut: bei Bibracte, 58 vor Christus wie

uns Lehrer Jucker beibrachte. Das war der erste strategische Fehler von Vercingetorix, der zweite sechs Jahre darnach bei Alesia läutete den Untergang der gallischen Nationen ein. Aber mir scheint, ich bin wie-der einmal ein bisschen vom Thema abgekommen.


Beide Länder die ich als Heimat empfinde, haben sich in der Zwischenzeit in verschiedenen Tempi ent-wickelt. Gilt meine erste Heimat Schweiz, als hochentwickelter Staat, der ständig die Moderne vor sich hertreibt, wirkt meine Heimat Frankreich eher als behäbig als innovativ. Dem ist aber nur bedingt so. Vergleicht man Paris, Lyon mit Zürich und Genève sind viele Parallelen sichtbar, ebenso beim Waadtländer Weinbauer verglichen mit dem Burgunder. Und auch der letzte Hinterwäldler in der Innerschweiz findet sein Pendant in der Hügellandschaft des Brionnais. Die Wissenschaft hat erkannt: In jedem von uns stecken noch zwei Prozent der Neandertaler, im Durchschnitt! Und in beiden Welten sind Ordnung und Gesetz tief verankert, bei den einen etwas weniger, Gott sei Dank.


Übrigens, en France bedingt eine Einladung zum Wildschweinbraten gute Verbindungen, in der Schweiz hingegen bietet im Herbst jede Landbeiz solches an. Allerdings stammt der sanglier français aus heimi-scher Jagd, jener auf der Speisekarte «Wild auf Wild» irgendwo aus dem Osten, vielleicht aus den Wäl-dern rund um Tschernobyl.


Weit voraus in der Entwicklung scheint hingegen meine Heimatstadt Zürich zu sein. Hat doch deren Ge-meinderat einen politischen Vorstoss entgegengenommen, der postuliert, den Begriff Mutter und Vater abzuschaffen, um nicht irgendwelche anders empfindende Mitmenschen zu verprellen. Zudem soll die Bezeichnung von «Frau» mit den Ausdrücken wie «Person mit Vulva» oder «menstruierende Person» er-setzt werden. Was letzteres ich gegenüber meiner seit langer Zeit angetrauten Margrit als diskriminie-

rend empfinde. Oder wenigstens mit dem Zusatz «post-menstruierend» zu versehen wäre. Die spinnen, die Zürcher:innen!


Von derartigen Entwicklungssprüngen erfahre ich hier in meinem burgundischen Dorf nichts, gar nichts. Hat dies allenfalls etwas mit tiefster Provinz, immer laut Baedeker, mit der örtlichen Presse, dem unan-gepassten Niveau des Journal de Saône et Loire oder gar mit dem Französischen zu tun? Das ach so moderne Verb «gendern» wird in dieser schönen Kultursprache mit «appliquer l’égalité des genres» übersetzt. Und das tönt einfach nicht so lässig.  

Sept 2022 jtw



Hin zu Europa


Und sie stiegen auf die Mauer und siehe da, ausserhalb waren die Wiesen auch grün.


Vielleicht war der Apfel im Kern schon längst faul, jedenfalls ist das nicht ab-schliessend geklärt. Gut, das SVP-Plakat mit dem verwurmten Apfel ist Geschmacksache, vielleicht auch eine Frage des Niveau. Darüber wollen wir jetzt nicht streiten. Trotzdem, es gibt ein paar Wahrheiten: Ohne die Ausländer gäbe es keine ETH, keine Uhren-, Chemie- und Schwerindustrie, usw. Ohne Ausländer würden wir es nicht mal auf den OP-Tisch schaffen und mit der netten Krankenschwester ist es dasselbe. Auch wenn sie nicht Schwyzer-tüütsch spricht. Und nicht zuletzt finanzieren die Ausländer nicht unerheblich unsere AHV mit.


Man sollte mal gut überlegen, wie viele Milliarden der Nichteintritt in den EWR insgesamt kostete? Derweil die Blocher und Konsorten Milliarden aus Europa scheffeln und das tumbe Volk ihnen zujubelt.


Zu Europa: Wir könnten im «Projekt Europa» bei diesem Prozess wirksam beistehen, schliesslich durch-

lief einst unsere Heimat dieselbe schwierige Entwicklung. Die Werke von Peter von Matt, Thomas Maissen und André Holenstein würden das Geschichtsverständnis wesentlich erhellen.  Aber nein, wir wählen das Danebenstehen, verzichten freiwillig auf eine Mitsprache und jammern über den Kohäsionsbeitrag und stossen unsere noch verbliebenen Freunde weg. Ob dies wohl die intelligentesten Entscheide sind? Aber Mitsprache hiesse natürlich auch Mitverantwortung, na?!


Vom hohen Ross heruntersteigen und endlich zu Fuss gehen, dafür aufrecht.


Okt. 2022/jtw



Wer die Wahl hat,

 

hat das Recht, jemanden zu beauftragen in seinem Sinn und Namen mitzubestimmen bei der Gestaltung des gemeinsamen Lebens im Land, dessen Bürger man ist. Ihre Schwester heisst die Pflicht und die Mutter der beiden ist die Mitverantwortung.

 

Gut, landläufig sagt man ja auch « hat die Qual » und viele machen es sich einfach, zu einfach, sehr sogar. Wenn die Pflicht ansteht und die zahlreichen Listen auf dem Tisch liegen, gibt es verschiedene Möglich-keiten:

 

Verweigerung: Mit der dümmlichen Entschuldigung, « die da oben, machen ja sowieso, usw » entledigt man sich der Last via Papierkorb. Man macht eben lieber die Faust im Sack oder ausserhalb, statt nach-zufragen, wer denn in seinem Namen und auf seine Kosten nach Bern reist. «Kei Luscht», besonders stillos, war eigentlich einem inzwischen endlich zurückgetretenen Bundesrat vorbehalten.

 

Abwägen: Ein grosser Teil der Wählenden hält sich an Gewohnheiten. Man wählt eben jene, « die man kennt », obgleich man eigentlich nicht mal mehr die Hälfte kennt. Trotz vierzig Arbeitsjahren im Kanton Zürich wählt man stramm traditionell. Einst ein Wirtschaftsmigrant, der trotzdem partout seinen sech-zehntel Erbteil am elterlichen Heimetli in der Innerschweiz nicht vergessen will. Oder man packt eben die Liste ein, die den ewigen Frieden im hintersten Kaff im Tösstal verspricht. Verspricht, wohl verstanden!

Für fast alle Anliegen gibt es eine Partei in unserer Schweiz. Aber «man muss ja nicht gleich heiraten», aber sich wenigstens dafür interessieren ist auch eine Pflicht. Natürlich gibt es in jedem Parteiprogramm Punkte, die einem nicht passen, nicht gefallen wollen. Aber wichtiger als irgendwelche Programme sind 

die Momente, in denen wir überzeugt sagen konnten: das hätte ich auch so entschieden!

 

Nachdenken geboten: Vielleicht ist es dazu just die richtige Zeit, vielleicht sogar höchste Zeit. Panaschie-ren ist das Geheimnis, am allerbesten auf einer leeren Liste. Nur jene Personen einsetzen, die Interessen in deinem Sinn und Namen vertreten haben in den vergangenen vier Jahren. Vor allem, nicht die einzelne Partei entscheidet das Spiel, es ist der richtige Mix.

 

Meine Meinung: Auch unsere Heimat kennt Oligarchen, besonders schweizerische. Zugegeben, sie ver-treten ebenso Interessen, vehement sogar, allerdings nur die eigenen. Viele Bürgerliche denken manchmal auch sozial, an- und abschliessend. Viele Linke sind sozial, weil es gerade ihrer aktuellen Situation am ehesten entgegenkommt und manche wettern gegen das Auto, nur weil sie keinen Parkplatz finden. Jene die sich in der Mitte wähnen, meinen manchmal nur die Stange, an der die Fahne hängt. Ganz aussen links trauert man dem Kollektiv nach und in entgegengesetzter Richtung vertreibt man die Angst mit lautem Geläut. Kurz, die zukünftige Politik braucht von allem. Trotzdem, Einäugige, Ungläubige und Lernresistente haben im Orchester nichts zu suchen. In der Politik und nur in der Politik ist das gerecht.


anfangs Okt. 2023