weber-bourgogne.com
Und dann noch dies
Texte, Gedanken, Essays, einfach aus Lust am Schreiben
Älter werden
In meinem allerersten Kaderkurs lerne ich die Nutzung der mentalen Kraft kennen; Emile Coué war in mein bis anhin junges, von Ché und anderen Zeitgenossen bevölkertes Leben eingedrungen Den Unter-lagen war auch ein Kleber „Es geht mir von Tag zu Tag besser“ beigelegt; der Leiter empfahl uns, ihn auf dem Badezimmerspiegel zu platzieren, auf dass der Start in den Morgen positiv gelänge. Dies erschien nicht so einfach; irgendwie wollte es mit der täglichen Vervollkommnung nicht so recht klappen. Aber ich lernte, mich bei geschlossenen Augen zu rasieren.
Später lernte ich meine frühmorgendliche Depression mit nachhaltigem Duschen zu meistern. Alle Sorgen und Schlafräuber flossen flugs den Gully hinunter; nicht gerade nach Coué, dafür effizient. Heute Morgen schabte ich also wieder einmal am Kinn herum, sorgsam, um die mittlerweile nicht mehr so straffe Haut zu verletzen. Aber irgendwie vergrub sich die Klinge doch wieder in eine der Unebenheiten. Was bleibt? Tupfen mit kaltem Wasser und dem bâton hérmostatique, der saumässig brennt. Ab sofort nur noch Rasieren mit bewehrtem Auge!
Kaum das nordische Duvet erfunden, schlief man ebenso federleicht. So leicht, dass es unvorstellbar er-schien, noch irgendetwas anzuziehen. Gut, zugegeben, das Bett war ja auch ein multifunktionelles Möbel. Dann kam die Phase der Nachthemden; einige wenige hatte ich geerbt, von leicht bis Barchent. Leicht und luftig, ohne ein irgendwo beengendes Gummiband bis kuschelig, wintermässig warm. Übrigens, das fran-zösische Versandhaus „L’homme moderne“ bietet wieder ein Modell an, nicht gerade billig, in bügel-freiem Seersucker. Man wird älter, man hat kälter. Deshalb darf es zu Winterzeiten heute auch mal ein Langarmpyjama sein und zum Einschlafen die handgestrickten Socken. Dafür bleibt das Fenster offen.
Hä!? Eines meiner Ohren war dermassen scharf eingestellt, dass ich nachts die Armbanduhr auf den Tep-pichboden neben dem Bett legen musste; die Tickerei störte meinen Schlaf. Heute, wenn Tomette, eine unserer überaus verwöhnten Katzen, nachts mit Geschrei eine Maus nachhause bringt, kann ich mich ge-trost im Bett aufs andere Ohr legen. Zugegeben, ein altersbedingter Hörsturz mit ewigem Pfeifen soll ja auch nicht gerade lustig sein, aber aus denselben Gründen einfach nicht mehr alle und alles zu hören ist nicht nur angenehm, sondern auch ganz schön bequem. Selektives Hören nennt man das, auch wenn
nicht immer beabsichtigt.
Bedacht mit einem militärischen Häuptling als Papa, wurde bei uns zuhause sehr auf korrekten Haar-schnitt geachtet. Das vierzehntägliches „Ausputzen“ war sein Mass, für mich eine Gott sei gedankt nicht immer zwingende Pflicht. Sein dickhaariger Bürstenschnitt entsprach nicht dem meinigen, vielmehr glich mein Schopf einem Weizenfeld im Wind: nicht so blond, aber so schief. Die zahlreichen Wirbel liessen
eher auf rebellische Eigenschaften schliessen. Später, der Erziehung entflohen, scheitelte ich mein Haar, mal etwas kürzer, mal natürlich gelockt, nie wirklich lang, wohl der Bequemlichkeit halber.
Heute versucht Coiffeur Lollo meinen Wünschen nach einem „coupe socialiste“ entgegenzukommen: Dort nehmen, wo es noch hat. Und da fehlt schon einiges an Haaren. Die in Ohren und Nase wuchernden sind ein schlechter Ersatz und ein Ärgernis zugleich. Meine Bärte, von Franz-Josef bis semi-académique sind beim Farbwechsel dem Messer zum Opfer gefallen und den „Schnauz“ einst wild, stutzt manchmal sogar Madame auf ein gepflegtes Mass. Einziger Trost: mein heutiger Figaro trägt endgültig eine Glatze wie Meister Menti, unser Nachbar aus der Jugendzeit.
Es ist wohl auch eine Frage der zunehmenden Jahre, dass man plötzlich sich an Verse aus der Jugendzeit erinnert. Noch nicht allzu lange her gelang es mir im Kreis von Freunden, den „Hecht“ von Morgenstern wieder aufleben zu lassen. Just in jenen Jahren flatterte Mörikes blaues Frühlingsband und Kästners Früh-ling allerorten gleichzeitig, gebüffelte satte 425 Glockenverse wurden gerade noch als Zweizeiler im Ski-hütten-WC auf die Wand gekritzelt.
Am definitiv letzten Examen trugen wir deshalb Werke von Morgenstern vor. Die Jungs in Jeans wohlver-standen; Mutter musste extra in den Konsum, Ihr Lieblingsladen mit dem grossen „M“ führte sowas Neu-modisches noch nicht, aber knapp zehn Jahre vor 1968 war man den Amerikanern ja noch sehr wohl-gesonnen. Aus demselben Grund riefen mich meine Eltern Tommy und erst „meine Frau aus erster Ehe“ führte den definitiv erwachsenen Thomas ein. En France bin ich zu Hans mutiert, wie seit vier Genera-tionen, weil im Pass zwischen dem Hans und dem Thomas ein kleiner trait d’union fehlt. Man sollte bei Kindstaufen weiter denken.
Aber zurück zum Älterwerden und den Versen. Nach schwierig-schwerer und frischer, aufmüpfiger Poesie bevorzuge ich Verse in meiner alemannischen Muttersprache; eines meiner Lieblingsgedichte stammt von Peter Wettstein, wie ich, ein Zürich Oberländer:
Elter wärde
Mi Gufere hät Eggen aab
und Blätz uf allne Site
Ich glycherene als alte Chnaab.
Warum au d’Rümpf bestrite?
Doch chümmeren ich mich nüd draab,
ha glych no schöni Zite
Au s’Altere isch e Gottesgaab,
wär gschyd isch, leerts bezite.
PS: Jene, die die Verse nicht verstehen, mögen mir verzeihen. Natürlich könnte man sie ins gelernte Schriftdeutsch übersetzen, aber man sollte nicht…
Augen auf!
Dass die Sehkraft bei zunehmendem Alter etwas nachlässt, habe ich akzeptiert. Die Zeiten, in dem man bei Föhn die Fahnenstange auf dem Etzel ennet dem Zürichsee noch als ganz feines Strichlein erkennen mochte, liegen um die siebzig Jahre zurück.
Dass man das Auto anhalten müsste, um Ortshinweise lesen zu können, nein, soweit war es nicht, aber schliesslich hat man auch mal gelernt, den Bremsweg zu berechnen und weiss deshalb ziemlich genau, wie nah dreissig Meter sein können. Natürlich hätte der Vertrauensarzt des Strassenverkehrsamtes
schnell erkannt: Da ist die Fahrtüchtigkeit infrage gestellt. Aber Gott sei Dank konnten sich bis anhin unsere Gastgeber in der zweiten Heimat nicht entschliessen, die Alten mit derartigen Gesetzen zu pla-gen. Im Südburgund, der tiefsten Provinz – O-Ton des Baedekers – ist der ÖV praktisch inexistent, Busse transportieren zumeist nur Schüler, selbst die Geleise der längst aufgegebenen Nebennebenbahnen wurden zum weitverzweigten Fahrradnetz umgebaut. Trotzdem muss man irgendwie einkaufen und geht es nur um eine simple Baguette im Nachbarsdorf beim letzten verblieben Boulanger.
Vor etlichen Jahren bot sich ein tägliches Schauspiel: Monsieur Tel-et-tel fuhr mit seiner verbeulten vio-letten 2CV halbwegs auf dem Trottoir vor, schnappte den Einkaufskorb und überliess sein Fahrzeug mit laufendem Motor. Es war die Aufgabe von Monsieur Dominique, Chef der petite épicerie du coin, den Citroën auf dem Dorfplatz zu wenden, so dass Monsieur ungehindert zurück nach Hause fahren konnte. Jetzt bin ich aber ein bisschen vom Thema abgekommen.
Es geht ja nicht nur ums Autofahren. In Momenten, bei denen die Arme zu kurz werden, dann wenn man Texte in einem lesbaren Verdana Grösse 11 verfasst und wenn man für den Fernsehabend den Teletext auf Distanz eins fünfzig liest, ist die Zeit gekommen, einen Termin beim Augendoktor einzuplanen. Keine einfache Angelegenheit, sind in unserer Gegend diese Spezialisten nicht sehr zahlreich ver-treten. «Rufen Sie doch im November an», riet die Vorzimmerdame im vergangenen Februar kurz vor der Erfindung von Corona. Auf meinen Hinweis, dass sich drei, vier Krähen über dem Haus wie ein Schwarm ausnehmen, erbarmte man sich meiner und gestattete ein erstes Rendez-vous Mitte Oktober. Doch auch weil man bereits Kunde war, schliesslich hatte Madame vor zwei Jahren das Rezept für eine Brille ausgestellt. Nota bene meine erste richtige Sehhilfe mit damals fünf und siebzig Lenzen; abgesehen von den zahlreichen Lesebrillen, von denen ich zumeist mit Glück jeweils wenigstens eine wiederfand.
Madame, die Ophthalmologin sah mir mit grünen Augen tief in die meinigen; grün schafft Vertrauen, behaupte ich mal. Und ordnete nach einem fröhlichen oh lala eine opération des cataractes an. « Rechts eine einfach Sache, links schwierig, sehr sogar, aber das sei ja mein Problem », sagte sie. Und wies das Sekretariat an, mit mir zwei Daten festzulegen. Hierarchien gibts auch in derartigen Praxen. Die weissen Damen am Empfang, Typ Oberschwestern, freundlich und bestimmt, die Sekretärin adrett, professionell verlinkt mit der Klinik, zivilgekleidet. Ab auf den Heimweg mit Umweg über die Klinik, um das Treffen mit dem Anästhesisten festzulegen. Nachhause um mich umgehend zum Thema cataractes schlau zu ma-chen: grauer Star sagt Google.
Mit lediglich einem Siebenuhrkaffee im Bauch fuhr mich Kollege Alain über Mittag nach Mâcon. Das linke Auge benötigte wie angesagt etwas mehr Zeit, aber am frühen Abend kutschierte mich der Krankentaxi wieder an meinen Wohnort, etwas bedeppert, von wegen Operation und immer noch mit beinahe leerem Magen, naturellement toujours à mon avis. Ich tauge wohl nicht fürs Heilfasten und andere esoterische Spielchen. Anderntags wieder bei Madame, die sich sehr über die eigene Arbeit freute. Also dann in drei Wochen, tropfen sie fleissig ins Auge!
Der Effekt war überzeugend. Links scharf und hell, die Wiese besteht aus vielen einzelnen Halmen, rechts tiefgrün wie durch eine getönte etwas schmutzige Autoscheibe. Heute, nach einer guten Viertelstunde am rechten Auge sehe ich wieder beidseitig weit und scharf, ein gutes Stück bessere Lebensqualität.
Dann in einem Jahr wieder, sagte die Augenärztin mit den grünen Augen und sehr kleinen Händen: Gera-de richtig für Feinst Mechanik.
21.12.2020
« Büröle »
So hiess es einst, wenn man von der Tätigkeit am Schreibtisch sprach, abfällig, denn richtig arbeiten ta-ten damals lediglich jene, die gemäss der Bibel «im Schweisse ihres Angesichtes» ihr Brot verdienten. Karikaturisten zeichneten die an den Schreibtischen als mageres Bürschchen mit krummem Rücken, auf-stehendem Haargiebel und Federhalter hinter dem Ohr, eben ein «Bürogummi», zu nichts anderem, zu nichts Rechtem tauglich. Nach langen Jahren der Tintenkleckserei schubste man den früh Ergrauten viel-leicht zu einem kleinen Karriereschritt, zum Unterbürochef, zum Bürohengst, hinter vorgehaltener Hand genannt.
In diese Richtung schubste auch mich damals die Unschlüssigkeit der Berufswahl. Der grand-chef war ein stämmiger Urner, dessen weisshaariger Schädel ein schwarzer Fleck an der rechten Seite zierte. Schwar-ze Tinte aus der Spitzfeder, mit er in grossen dicken Zahlen in das Hauptbuch malte, die tägliche Abrech-nung, das pièce de résistance jedes Postverwalters. Dass er das Heft nie aus den Händen geben wollte, hatte seine Besonderheit. Zwar wäre es seine Aufgabe gewesen, mich ebenfalls in die postalische Buch-haltung einzuführen, aber das scheiterte an der Materialfrage. Damals wurden das Formular «Hauptbuch» jährlich in abgezählten Exemplaren an die Poststellen abgegeben und da der Herr Verwalter, nicht aus-gesprochen begabt in dieser Tätigkeit, jeweils einen harten Kampf mit den Zahlenreihen führte, immer knapp an Formularen war. Zahlen, die partout keine stimmiges Ergebnis brachten, die er strich, über-schrieb und manchmal auch wegkratzte, hinterliessen zuweilen ein Chaos, dass die Buchhalter der löb-lichen Kreisdirektion die Köpfe schütteln liess. Ich begriff später, Derartiges sollte der Lehrling nicht mit-bekommen.
Mein tiefes Interesse an der Buchführung war deshalb früh erloschen, obgleich der Lehrlingschef im fer-nen Zürich mir eigene Exemplare zum Üben zukommen liess. Die postalische Buchführung hatte sehr wenig mit dem zu tun, was ich vorgängig als Grundlagen der «Ruf»-Buchhaltung lernen durfte. Viel spä-ter gelang wieder der Zugang, als die Direktion das Postzeitungsamt als erste Aussenstelle mit einem Computer versah, auf dessen System das jährliche Defizit von 26 Millionen ausgewiesen wurde, das ich als Leiter dieses Amtes im Sinne der Presseförderung der Generaldirektion zu melden hatte. Und auf Grund dieses Wissensvorsprunges, konnte ich meinen späteren Chef Werner verblüffen, als er nach den Ferien anstelle seines sehr exakt geführten Hauptbuches den Ausdruck aus dem Computer vorfand.
Und seitdem veränderte sich unaufhaltsam die Arbeitswelt. Das «Büröle» wurde geadelt, heisst manch-mal sogar Administration, zu deren Aufgabe sich sämtliche Jugendliche drängen. Selbst jene, deren Kom-petenzen nach der Schule trotz allem eher zu unsauberen oder gar schwieligen Händen führen müssten. Die täglichen Spielereien am Handy werden vielmals als Grundlage der späteren Arbeit betrachtet, dies manchmal zu Recht. Trotzdem, die Voraussetzungen sind etwas sehr verschieden; auch die kaufmänni-schen Lehre als Ersatz für die gescheiterte Karriere im Gymnasium gerät erst zum Erfolg, wenn schon
früh eine Berufsmatur angestrebt wird, die Grundlage, die erst eine gezielte Weiterbildung ermöglicht.
Das «Büröle» kann ich mir heute "im Sommer des Alters" leisten. Schwirrt mir nicht gerade irgendein
Text im Kopf herum, drängen sich doch kleine Büroarbeiten auf. Die modernen Computerprogramme in dieser ach so unsicheren Welt, verlangen zwar regelmässige Zuwendung. Da entstehen Aufwände, die einem ganze Halbtage rauben; ausgerechnet in einem Lebensabschnitt, in dem wir uns weder Zeit noch Geduld leisten können oder dies wenigsten meinen glauben zu müssen.
Die Buchführung war bis zur Schliessung der Galerie doch eine Pflicht und Grundlage zur Berechnung von Steuern und Sozialabgaben, obgleich das finanzielle Ziel klar die schwarze Null war. Das Mäzenat als Ge-schäftsmodell trägt viel bei zur Ehrenhaftigkeit und zum Verständnis der Administration.
Zurück bleibt heute ein Kontenplan in Excelformat, der die verschiedenen Conti in schweizerischer und europäischer Währung erfasst, zusammenführt und Soll und Haben ausweist. Wahrhaftig kein Dabobert-Duck-Erlebnis, aber wenigstens eine Übersicht, die hoffen lässt, dass wir auf mittelfristige Distanz nicht
zu darben haben. Erinnert mich stark an eine «Finanzplanung» für unsere über achtzigjährige Mutter; als ich ihr aufzeigt, wann das Vermögen dann wirklich aufgebraucht wäre, meinte sie lediglich: «Aber dann bin ich doch erst siebenundneunzig. Gut, auch im Alter soll man anspruchsvolle Ziele setzen.
Wenn ich jetzt gerade in meinem Büro sitze, mit Blick auf die vorübergehende Kundschaft des Buralistes, des Chocolatiers und der Blumenhändlerin, ist mir echt bewusst, wie frei und unbeschwert ich leben darf und kann.
Day by day
Wenn in die Bewegung unserer Tage Ruhe einkehrt, enthüllen sich die Geheimnisse des Lebens.
Eine Erfahrung nach dem Eintritt ins Rentnerleben ist die Überfülle an Zeit. Etwas völlig Ungewohntes das einem durchaus verunsichern kann. Natürlich führt man weiterhin eine Agenda, obgleich die Einträge dürftig werden. Der Schritt von der täglichen zur Wochenagenda ist ein Einschnitt in ein vorheriges Leben, das man zwar zuweilen verfluchte, aber vermeintlich nicht zu umgehen sei. Gewohnt innert kurze Zeit eine Sache abzuwägen und zu entscheiden. (Gute Chefs können nicht nur schnell und klar entscheiden, sie wissen auch, wie im Notfall zu korrigieren ist.) Und jetzt: Plötzlich genügend verfügbare Zeit lässt Raum für längere Überlegungen, aber auch zu Zweifel; war der jetzige Entscheid wirklich der beste?
Rentner sind immer vollbeschäftigt; deshalb grüssen sie zumeist mit „Keine Zeit!“. Es sind nicht nur ganz fest vorgenommene Dinge, die man dann endlich mal machen will. Man wird von Ideen überfallen, die man einst in der schlaflosen Nacht auf dem Block notierte und am nächsten Morgen im Fach „Blödsinn“ ablegte. Und jetzt will man das nochmal überdenken. Ist es normal oder pure Verzweiflung eines noch jungen Frührentners? Und man beschäftigt sich mit Projekten, die man einst skizzierte, ideenreich als Präsentation einreichte und wenn, dann gerade mal mündlich als nicht durchführbar verabschiedet wur-den. Und man sich schwor, nie mehr sich verführen zu lassen, mitzudenken, weil Derartiges schlicht nicht an der Front des Unternehmens erdacht worden sein kann.
Weil, so schließt er messerscharf,
nicht sein kann, was nicht sein darf.
Übrigens Morgenstern, einer meiner Lieblinge
Also ist doch noch keine Ruhe eingekehrt, einige Jahrzehnte lassen sich auch nicht so leicht ablegen wie die gestrige Zeitung. Zwar ist der Mensch mit einer Gabe gesegnet, die ihm einiges erspart an Erinne-rungen: die Verdrängung. Und wenn man sehr viel Glück hat, hält dies Gabe an, bis man sich wirklich nicht mehr erinnert. Zugegeben, was nicht zu ändern ist, darf nicht ärgern. Wie das Wetter. Trotzdem löckt einem der Stachel zuweilen. Besonders wenn man merkt, dass der damalige Geistesblitz doch ein-schlug, wenn auch viel später und aus einer völlig anderen Richtung. Irgendwann an einer unternehme-risch inspirierten Erweckungswoche lernten wir „Recht haben und Recht bekommen sind zweierlei“. Und „Recht haben“ begleitet uns eben ziemlich lange, manchmal so lange, dass es als altersbedingtes Ver-halten erkannt wird.
In der Mitte des Alters, geboren 1943, legt man einengende Pflichten besser zur Seite. Aber das „nur noch tun, was einem Lust macht“, ist nicht ganz einfach. Wenn man partout nicht ausschlafen kann, weil das ungewohnte Liegenbleiben weder angenehm, noch erholsam ist, wird es eben doch zur Angewohnheit, punkt sieben im Badezimmer den Morgenmantel zu reichen und einen ersten Nespresso durchlaufen zu lassen. Da nutzt auch nichts, abends noch am Fernseher herum zu zappen und im Bett noch anspruchs-volle und müde machende Artikel im „Le Point“ zu lesen. Nach sechs Stunden ist definitiv Schluss. Manchmal schon, wenn man statt über Dinge nachzusinnen, auch mal zwischen drei und vier Uhr Notizen verfasst, die einem über den langen Tag eines Rentners hinweghelfen können. Zwar hat man gemeinsam beschlossen, einige Dinge zu ändern, Pflichten, die einem durchs halbe Leben begleiteten, etwas grosszü-giger zu erledigen. Nicht ständig bereits sein zum Einspringen, zum Aushelfen, zu Einladungen, die nicht so selbstverständlich erwidert werden, Öffnungszeiten einzuhalten, obgleich gerade jetzt anscheinend
kein Bedürfnis besteht, unsere Ausstellung anzusehen.
Gut, nicht alle Rentnern, steigen am Donnerstagmorgen mit dem Generalabonnement in den Zug, um mit ein paar Kollegen über Burgdorf ins Emmental zu fahren, in irgend einem Restaurant Bären eine riesige Schlachtplatte zu verspeisen und auf dem Heimweg über Luzern, mit Kaffee-fertig-Aufenthalt im Buffet I. Klasse, einen Jass zu klopfen, ungeachtet der Landschaft, die da vorüberbraust. Nicht alle Rentner hacken im Schrebergarten und pflanzen lange Reihen von Salaten, die nur mit Hilfe sämtlicher Nachbarn nicht aufzustängeln brauchen und produzieren Kohlrabi und Fenchel, Gemüse, die ohnehin keinen Platz auf
meinem Speiseplan finden. Aber genug gefrotzelt.
Es gibt auch viele Rentner, ohne die manche Hilfsorganisation nicht zu Rande käme, ohne die die Beset-zung der Vorstände von Vereinen nicht mehr denkbar wären, ohne die so manche Dinge in der Gemein-schaft den Bach hinuntergingen. Denkbar wären, zum Beispiel Entlastungen zugunsten des ständig über-lasteten Personals in den Altenheimen, wie Georgette, die mit weit über 80 immer noch zum Dienst an Gleichalterigen fährt, und die Möglichkeit, viele kleine Dienstleistungen im Dorf zu erbringen.
Frauen haben es in dieser Hinsicht weniger schwer. Sie haben immer etwas scheinbar Sinnvolles zu tun.
Ob jetzt Waschen, Plätten und Putzen wahrhaftig nach dem Lustprinzip erfolgen, scheint mir doch etwas ungewiss. Gut, die Königsdisziplin, das Kochen, ist den Hausfrauen seit dem Renteneintritt etwas entglit-ten, freiwillig oder gar gewollt. Bleibt nur noch das Einkaufen. Zu unterscheiden zwischen zügigem Ein-sammeln von getreulich notierten Lebens-und Genussmittel und dem neugierigen Schlendern zwischen den verführerischen Gestellen. Jedenfalls vergeht auch so viel Zeit.
Zurück zum Beschluss, einiges zu ändern, zumal, wie zumindest die Statistik zeigt, nicht mehr viel übrig an Zeit bleibt. Der Wille ist vorhanden, aber es gibt immer ein paar Dinge, die die Pflichten nicht aus-schliessen. Seien es Haustiere als Teil der Familie oder ist es nun wieder so eine Idee, die einem weiterhin umtreibt. Keine weitreichende Planung mehr, day by day.
Jedenfalls immer noch zu früh für die Enthüllung der Geheimnisse des Lebens. Natürlich immer aus meiner Sicht
Die Pandemie „Corona“
Diese Epidemie, im Moment weniger tödlich als die übliche saisonale Grippe. Meinten wir, ziemlich lange sogar und dies sagen immer noch einige wenige: fake-newers, evangelikale Prediger, Mullahs, selbster-nannte Kompetente und andere Idioten
In der Zwischenzeit haben wir dazugelernt, schmerzhaft. Die Stationen heissen Cremona, Bergamo, hart an der schweizerischen Grenze, aber auch Spanien, das Elsass. Diese Krankheit ist nicht zu besiegen, nicht auf die Schnelle. Es gibt schlicht kein wirksames Medikament und dies nicht morgen oder übermor-gen; besten Falles bis Ende dieses Jahres, sagt die Wissenschaft. Und bis dahin wird es Tote geben, viele tote Mitmenschen, die unbegleitet zu Grabe gebracht werden müssen. Auch Abschiede könnten tödlich enden.
Schreckensbilder tauchen auf, totgesagte mittelalterliche, Bilder von längst überwundenen Seuchen. Die „Pest“ mitten unter uns, der Sensenmann allgegenwärtig und die Endzeitverkünder sind auch nicht mehr weit. Gottes Strafe in einer Welt, in der sich in seinem Namen die Gläubigen gegenseitig die Köpfe ein-schlagen? Und es möge auch die Ungläubigen treffen, inshallah!
Als das Virus nur die Chinesen betraf, waren die Dinge noch klar. Solche, die Fledermäuse braten und ausgeweidete Gürteltiere essen, musste es ja treffen. Davor waren es die Vögel, dann die Schweine und jetzt dies. Die modernen Karawanen, die über die gefürchtete neue Seidenstrasse Europas Märkte über-schwemmten, kamen zum Stillstand. Ganz heimlich mochte man es ihnen ja ein kleines Bisschen gönnen, jenen, die den Gottesdienst ums goldene Kalb so nachhaltig störten.
Und flugs holte man sie in die sichere Heimat heim, jene die im fernen Asien mit dem Verkauf ihres gut-bezahlten Wissens die ungleiche Konkurrenz erst ermöglichen. Wir werden wohl nochmals überlegen müssen, wer uns G5 liefern darf.
Erhalten jetzt jene recht, die gegen die Globalisierung wettern? Ist dies der erste Sieg der falschen Pro-pheten, der Rassisten, Fremdenfeinden und Souveränisten, der Festungsbauer, deren Mauern nie genug hoch sind, der Puristen, die jeden Flugbonus wie eine zwei im Zeugnis werten, die Impfgegner und -innen und all die Populisten und Neidbauern? Hoch die Ziehbrücken, auf dass keiner reinkommt.
Aber das Virus schafft das, es sitzt schon drinnen; da nutzen keine Schutzmasken, schon gar keine ideo-logische. Man kann nicht den Hilfsarbeiter aussperren und die Krankenpflegerin hereinbitten. Unsere con-cittadini ticinesi können darüber kompetent berichten. Globalisierung ist kein Schrecksgespenst, sie ist längst ein Fakt mit all seinen erfreulichen Vorteilen, aber auch ein paar störenden Nachteilen. Es gibt keine Alternative, keine Wahl. Da nutzt auch kein Rückzug auf die Insel. Dabei waren es gerade die Bri-ten, die freiwillig in die politische und handelspolitische Quarantäne gingen. Allerdings aus ganz anderen Gründen. Trotzdem, mit dem Tunnel kommen nicht nur die Güter ins Land, auch mit der Fähre halbtäglich ab Calais. Das hat auch Trump gemerkt und nach der Einreisesperre für die Europäer drei Tage später diese auch für die englischsprechenden Cousins verordnet.
Wir waren in tiefsten Träumen versunken, betrunken vom Spiel zwischen vielleicht lässig erfüllter Pflicht und randvoll ausgefüllter Freizeit. Konsumsüchtig und Tag und Nacht jederzeit digital aufrufbar, erfolg-reich oder zumindest im Glauben daran und eingehüllt in einen sportlichen und ästhetischen Körper. Da rasen 80-Jährige auf elektrounterstützten Fahrrädern durch die Gegend und Mamis und Töchter könnten beinahe als Geschwister angesehen werden.
Dabei ist die „schöne neue Welt“ gerademal eine neue Welt und auch das nur teilweise. Nur schade, dass das Grossmami im Altenheim das alles nur noch über WhatsApp mitbekommt, weil mit der Quarantäne auch ein Besuchsverbot ausgesprochen wurde. Wehe dem, der jetzt in der Pflege sitzt und nicht mehr versteht, weshalb man nicht durch die Gänge „rollatoren“ darf.
International wird nach dem Sündenbock gesucht. Aus amerikanischer Sicht ist der Virus aus einem chi-nesischen Militärlabor entwischt, diese hingegen beschuldigen amerikanische Militärsportler als Impor-teure. Waren es Heimkehrer von der Kreuzfahrt oder die Fans des FC Bergamo, die nach dem sensatio-nellen Viertelfinal gegen den spanischen FC Valencia die Verbreitung dieser Seuche auslösten? Und in der Morgensendung diskutiert man über Vorurteile gegen kiffende Holländer, sexsüchtige Italos, kriminelle Balkanesen und „Franzosen gleich Rotwein und Pariser“. Und irgendwo dahinter versteckt, na ja die Schwulen, Lesben und Unschlüssigen. Diese zwangshafte Suche nach den Schuldigen erinnert sehr an frühe Zeiten, Hexenjagd und Judenverfolgung sind noch nicht endgültig überwunden.
Seit einer Woche sitzen wir zuhause, nicht inhaftiert, aber ultimativ aufgefordert, jeglichen Begegnungen aus dem Weg zu gehen. Den Nachbarn zuwinken, statt die Hand zu geben, Gloria, unsere Putze, nicht
zu küssen, sondern wie zu Mutters Zeiten die Anweisungen aus gehöriger Distanz zu erteilen. Zwar ist Pflanzzeit, aber im Gartencenter dürfen nur noch Lebens- und Futtermittel für die Tiere angeboten wer-den. Die Samenabteilung ist abgesperrt, selbst die noch schwachen Salatsetzlinge, eigentlich Grundlage für spätere Mahlzeiten, müssen auf den Gestellen verbleiben.
Eigentlich dürften wir nur begründet unserer Quarantäne verlassen. Aber auch über 75-Jährige haben Bedürfnisse und deshalb - wenigstens einmal die Woche – wagen wir es, wieder unsere gewohnten Ein-käufe in der Suprette zu machen. Im Kaufladen herrscht ein ausgedünntes Angebot, welke Salate und Gemüse werden noch nicht abgelöst, der Nachschub steckt vermutlich irgendwo zwischen Malaga und hier. Italienische Paste werden wohl bevorzugt; jedenfalls sind sie alle, ausgenommen Bio-Penne und Lasagne-Blätter; Franzosen sind eben doch Gourmets. Auch Onkel Bens wird nicht mehr angeboten, da-für Canaroli. Nicht der fünfminütige schnelle, fertige; richtiger Reis für ein richtiges Risotto. Auch sonst drängen sich einige Änderungen im Menüplan auf; der offizielle Staat verspricht ausdrücklich eine garan-tierte Grundversorgung. Also weder Papayas noch frühfrühe Erdbeeren aus Nordafrika.
Der Gang durch die Gestelle zu den Kassen ist kanalisiert, die gelb-schwarzen bandes de discrétion mar-kieren die nötigen Abstände. Und „les français“, sonst nicht sehr hellhörig bei gouvernamentalen Anwei-sungen, respektieren diese. Die Situation ist ernst, offensichtlich. Dies am 24. März und in neun Monaten ist Weihnachten: Friede auf Erden, hoffentlich.
Bewegen wir uns auf eine Welt zu, in der das Alleinsein, zu Hause, hinter einem möglichen Computer für die Glückseligkeit aller ausreicht? Frägt der Schriftsteller Bernard-Henri Lévy
Enthaltsamkeit
ist etwas, was man sich leistet, wenn es einem zu schlecht oder zu gut geht
Kürzlich: Der gerufene Küchenbauer erfüllt gerade Wünsche; der Bequemlichkeit halber. Die De Longhi zeigt Bereitschaft an, für mich einen Kaffee zu brühen, was ich gerne annehme. Selbiges Angebot an den Handwerker wird von ihm abschlägig beschieden: Ich trinke keinen Kaffee. Etwas ungewöhnlich für einen 35-jährigen mit italienischem Hintergrund. Aber offensichtlich ein Zeichen der Zeit.
Kein Tag vergeht, an dem ich nicht auf die Gefährlichkeit meines Tuns aufmerksam gemacht werde. Ges-tern schrieb das Journal de Saône et Loire, nicht gerade mein Leibblatt, dafür das einzig erhältliche,
«Die wöchentliche Flasche Wein entspricht zwölf Zigaretten!», und ist damit also ebenso auf der negati-ven Gebotsliste. Zwar habe ich mir im Herbst 2004 meine Gitanes maïs abgewöhnt, einfach weil sie nicht mehr so richtig schmecken wollten, aber auch weil meine Kochkollegen drinnen das Aperoglas schwenk-ten, während ich in der Kälte draussen paffen musste. Zugegeben, lange träumte mir noch, dass ich ein clope anzündete, aber Gott sei dank erwachte ich rechtzeitig, um mir zu bestätigen, «du rauchst ja gar nicht mehr» und ich mich im Bett beruhigt auf die andere Seite wenden konnte. Aber jetzt bin ich weit von der Botschaft des schädlichen Trinkens abgekommen.
Die Flaschen Chardonnay und der regionale Rotwein stehen geöffnet, an der Kühle oder auf dem Küchen-bord und manchmal reichen sie sogar etwas länger als für eine Woche. Das tägliche Glas, eben gerade gute zehn Zentiliter, begleitet das Mittagessen. Und das soll nun ebenso ungut wie das Rauchen sein?
Und was soll überhaupt dieser blöde Vergleich, diese untaugliche Studie? Zeitzeichen eben.
Die Studien jagen sich; was vor Corona noch gültig war, wird heute widerlegt. 2019 hiess es: Für Männer unbedenklich oder gar förderlich sind 0,4 Liter Wein am Tag, also 30 bis 40 Gramm (g) Alkohol. Für Frauen 0,2 bis 0,3 Liter, also 20 bis 30 g Alkohol: dies bei einem Alkoholgehalt von 13 Volumenprozent. Da könnte man glatt auf die Idee kommen, dem dejeuner auch noch ein kleines Gläschen Eigenbrand «Vieille Pomme, Moulin de Chigy, 52°» nachzuschieben.
Allerdings verkündete die Gesundheitsministerin, jeglicher Alkoholgenuss sei schädlich. Und sowas im Weinland Frankreich! Madame la Ministre amtet nicht mehr und Monsieur le Président trinkt nach wie vor Wein, le midi et le soir, sagt er. Wem soll ich jetzt folgen? Der studierten Ärztin Agnes Buzyn glauben oder dem obersten Chef vertrauen, der auch für eine gute Laune und eine gesunde Wirtschaft verantwortlich ist?
Ganz nebenbei, das kleine Schlümmerchen nach dem Essen ist für Senioren besonders empfehlenswert, sagt eine weitere Studie.
Der seit Jahren schwelende Streit zwischen den Gesundheitsaposteln und den Kaffeeproduzenten ist immer noch nicht ausgestanden. Zwar gab es immer Leute, auch in unserem Freundeskreis, die jeglichen Kaffeegenuss nach vier Uhr nachmit-tags heftig abwehrten. Dann kann ich nicht mehr schlafen, heisst es jeweils. Gut, zugegeben, um zehn Uhr abends kann ich auch nicht schlafen, will auch nicht. Andere be-haupten, nur kleine Schwarze, ganz ohne irgendwas, gingen auch nach vier Uhr. Meinerseits helle ich mein abendliches Tässchen, zumeist das fünfte und im Zwischenbericht als gestattet bezeichnet, gerne mit einem Schuss Vollmilch auf. Und schlummere nach kurzer Bettlektüre in Minutenschnelle ein.
Einst lernte ich den Unterschied zwischen Lebens- und Genussmittel. Die einen braucht man zum Über-leben, im Zentrum steht lediglich der Nährwert. Ge-nussmittel hingegen versprechen Gaumenfreuden
wie Kaffee, Tee, Alkohol, Schokolade, Zucker und Gewürze. Eine genaue Abgrenzung ist in manchen Fällen aber schwierig. Schokolade, Zucker und Honig werden beispielsweise sowohl als Genuss- als auch als Nahrungsmittel eingestuft. Früher galten Genussmittel als Luxusgut, in Frankreich heissen sie immer noch «les articles de luxe».
Kein Tag ohne Ermahnungen, Körper und Geist gesund zu erhalten, wenn nötig auch mit Zwang, denn alt werden ist absolute Pflicht. Und wenn, möglichst nicht sichtbar oder wenigstens reparabel. Die Themen sind zahlreich: Die fünf absolut ungesunden Lebensmittel, das Männerleiden, über das man nicht spricht, die Mindestens-20-Sportminuten, Völlegefühl und gesunde Darmflora, Botrox auch für Männer, und so weiter und fort. Alles Zeichen der Zeit; Enthaltsamkeit, Temperenz, Abstinenz als Zeitzeichen der Moder-ne? Alles was Lust macht ist Sucht, Sucht ist alles Menschliche.
Das ständig an die eigenen Grenzen gehen, hat nichts Menschliches, nur Sucht. Und ist schon gar nicht lustvoll. Aus meiner Sicht natürlich.
«Götti Heiri», der mit fünfundneunzig seine zwanzig Liegestützen auf unserem Wohnzimmertisch drückte, dessen Tag von vier Uhr morgens bis acht Uhr abends mit Turnen, Hausmusik, salz- und zuckerfreier Kost und Lernen erfüllt war. Dessen Mittwochnachmittag aus dem zweimaligem Besteigen des Zürcher Haus-berges bestand, nota bene auf verschiedenen Routen, der, als er mit über neunzig das Kranzresultat nicht mehr erreichte, sein Gewehr einem Jungschützen in die Hand drückte. Jener allseits verehrte Verwandte, der, als ihm niemand mehr zuhörte, kurz vor dem hundertsten Lebensjahr, sich verabschiedete, nicht mehr ass und trank und nach vier Tagen von dieser Welt ging.
Das waren keine ach gerade so modische Zeitzeichen, das war sein eigens für sich beschlossenes Leben.
Margrit, meine Frau aus erster Ehe, meint, ab achtzig werde sie täglich einen kleinen Joint paffen, gegen all die schmerzhaften Wehwehchen und für kleine altersgerechte Träumereien. Die paar Rauchkringelchen werden die Lunge wohl nicht gleich in einen Krebspalast verwandeln. Und wenn schon.
So, und jetzt gehen wir einen Kaffee brühen, begleitet von einer Creation aus dem Haus des benach-barten Chocolatiers.
07/2021
Erschte Mai
Früener simmer no uf d’Strass ggange
Go demonschtriere
Voruus de rooti Fahne
Dänn e Musig us em Chreis Cheib
Linggs und rächts vom Umzug die Chref="javascript:void(0)"tigschte
Mer händ no gwüsst,, für was mer dur d’Stadt in gloffe sind
Hüt simmer nobel worde
De Büezer redt spanisch, türggisch, serbokroatisch
05.89
1. Mai
Zugegeben, ich bin auch nicht an der Demonstration gewesen, wie auch im vergangenen Jahr nicht. Ich bin mit meiner Frau durch die blühenden Frühlingswiesen gewandert und habe, wie so viele auch, den
1. Mai mit einem sauren Most und einem Plättli Speck und Käse in der Gartenwirtschaft des „Leuen“ be-gangen. Es war ein herrlicher Tag, ein geschenkter Tag.
Einst war es der stolze Demozug der Arbeiter und der kleinen Angestellten, stolz auf ihren Berufsstand, stolz ein „Büezer“ zu sein. Doch es gibt keine Schweizer Büezer mehr wenigstens beinahe nicht mehr. Heute heissen die Büezer Nazir, Gülap und Jesus-Maria, sie sprechen ihre eigene Heimatsprache, ihre
Anliegen sind Anliegen, die nicht nur in diesem Arbeitsland Schweiz entstehen, sondern sind mit dem Ballast der Probleme der eigenen Heimat befrachtet. Probleme, wie mangelnde Respektierung der Men-schenrechte, galoppierende Inflationsrate, hoffnungslose Berufschancen, usw. Und die betrachten die Schweizer nun mal wieder nicht - oder immer noch nicht - als ihre Probleme, fühlen sich als Angestellte besserer Färbung und wählen mit boshafter Regelmässigkeit die CVP, die Freisinnigen oder gar die SVP und die Freiheitlichen.
Und diese marschieren wiederum nicht mit den Ausländern im selben Umzug. Wobei wir beim Demonstra-tionsumzug wären: Voraus die roten Falken, die kommunistische Jugendorganisation, die Ewiggestrigen, die scheinbar nie etwas dazu lernen, dann die Frauengruppen. Die radikale women power, die Vertreterin-nen der „Lesbischen Mütter“, die „Strikte Frauenwohngruppe“ aus dem Chreis Cheib und wie sie alle heis-sen. Weiter hinten bessert’s denn auch: Es kommen die noch engagierten Gewerkschafter, die Pöstler, die Bähnler, die SMUV. Und eben die Massen der ausländischen Kollegen, die trotz dem Aufruf „Arbeiter aller Länder vereinigt Euch“ als Kollegen 2. Klasse angesehen werden. Federführend wirkt die SP, obwohl Vor-aussetzung für eine Karriere in dieser Partei zumindest ein halbakademischer Grad oder wenigstens die Aussicht auf eine Stelle als Sozialarbeiter geworden ist. Eine Partei, die auf alle Fälle nicht mehr die In-teressen der Schweizer Arbeiter vertritt.
Das heisst, ich weigere mich schlicht, mit einer johlenden Menge Slogans in afgani, in türkisch und in weiss Gott welcher Sprache skandierenden Haufen hinterher zu marschieren. Dass anschliessend, mit konstanter Regelmässigkeit auch noch die Berufschaoten und Freizeitrandalierer zum Zug kommen, „spontan“ einmal mehr die Gelegenheit ergreifen, Fensterscheiben einzudonnern und Container in Brand zu stecken, ist auch beinahe schon Tradition geworden. Auch dieses Jahr ist wieder ein schöner 1. Mai über die Fensterscheiben der City Zürich gegangen.
Evviva lo sport
Steinzeitalten Instinkten folgend, will sich jeder Mensch gerne an seinen Mitmenschen messen. Waren es damals noch das Steine schleudern nach Auerhähnen und das Verfolgen flüchtigen Wildes, natürlich mit der Keule in der Hand, so ist es heute der Sport. Spitzensport animiert zur Nachahmung, wächst zum Breitensport und ist ein gehätscheltes Kind der Medien, mit beinahe unendlicher Wachstumsgarantie. Immer mehr kommen in den Medien Berufssportler zu Wort, die trotz berufsbedingten Verletzungen und Verschleisserscheinungen, Sportler mit akutem Medikamenten-, wenn nicht Drogenmissbrauch als Vor-bilder für den gesunden Freizeitsport gelten.
Es bedingt zusätzlich ein besonderes Klima, in dem die Menschen leben; es bedingt den grauen, unper-sönlichen Alltag, um den Wunsch nach farbiger Freizeit und "action" zu schaffen. Mittlerweilen ist aber
der Sport in zweifelhafte Hände geraten. Er dient als letzter Kick, denken wir an die Auto- oder Skirennen, in einer sonst totalversicherten Welt. Oder zum Abbau von Aggressionen, die jedermann meint, nicht mehr haben zu dürfen; oder als Modetrend, siehe Aerobic, Jogging, Freeclimbing, usw. Alles und jedes hat heute sportlich zu sein: Die Kleider, das Auto, die Uhr, ja der ganze Mensch. Man lese einmal die Heirats- und die Stelleninserate; wer nicht dynamisch oder sportlich ist, gehört schon zur zweiten Garnitur. Selbst die zwischenmenschlichste aller Aktivitäten erhöht sich heute zum sportlichen Ereignis.
Gut, nicht jeder, der durch den Wald rennt, arbeitet an der Fitness. Mancher rennt vor lauter Angst, vor Frust, vor Hunden und anderen Jogger. Vor was oder vor wem rennen die davon? Vielleicht nur vor dem wirklichen Leben. In meiner zweiten Heimat begegnet man sehr selten jenen keuchenden Spezies und wippenden Rossschwänzen. Man ist sich einig, das müssen Parisiens sein, die spinnen ohnehin alle.
Man muss immer an die Grenzen gehen. An welche Grenzen denn? Vor ein paar Jahren ging ein Manager mit Extremsportambitionen aus dem Leben. Er ertrug es nicht mehr. Andere stürzen sich bei Kadersemi-nare an Gummiseilen in die Tiefe. Für den letzten Kitzel sind sie bereit das Leben einzusetzen. Ehrlich, wer würde seine Kinder derartigen Vorgesetzten anvertrauen?
Ohne Sport ist diese industrialisierte Welt die bare Öde - oder etwa nicht? Vielleicht wurde der Sport auch nur von den Arbeitgebern erfunden, um die Spannkraft zum Wohle des Arbeitsprozesses länger zu erhal-ten. Oder vielleicht waren es die Politiker, um die Mitmenschen vom Gemauschel abzulenken, das hinter ihrem Rücken passiert – panem et circenses - oder braucht man die ständige Betätigung des Körpers, um die Signale der eigenen Leere zu übertönen?
So, jetzt drehe ich eine Runde durchs Städtchen, nicht von wegen sportlicher Ertüchtigung. Für ein kleines Schwätzchen beim Uhrmacher, um die Fortschritte beim Bau zu begutachten, die Anschläge bei der Mairie zu lesen und frisches Brot beim Boulanger zu besorgen, einfach um Luft zu schnappen oder die Runde mit einem therapeutisch kleinen Gläschen Chardonnay abzuschliessen.
Ach, da kommt der Meister!
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister
werd ich nun nicht los.
Eigentlich bin ich in meinem Urteil befangen, schliesslich habe ich nach einem kurzen Ausflug ins Face-book flugs meinen Account wieder gelöscht, fest überzeugt, dass ich sowas nicht brauche. Ohnehin ge-höre ich zu der anscheinend unbelehrbaren Minderheit, die nicht ihren Kompi Tag und Nacht auf dem Leib trägt. Mein Fenster zur Welt steht nach wie vor auf dem Schreibtisch und wird vor dem Fernsehabend zu Bett gebracht. Das Handy, das ich nur mitnehme, um notfalls um Hilfe bitten zu können, ist ein Museum-stück, mit dem man lediglich telefonieren kann und sms-len könnte.
Kürzlich assen wir in einem neueröffneten Bistro, die Karte auf dem im Tisch eingebauten Bildschirm, inklusive unterhaltende Spielmöglichkeiten; Stammkunden können den Apéro geniessen und gleichzeitig die Mails checken. Allerdings, die Bestellung erfasste dann der Maître d’hôtel doch auf seinem eigenen Gerät und das Servierte entsprach durchaus den Ansprüchen eines einfachen Quartierlokals. Wenn der Teller heisser ist als die nobel deklarierte Suppe … aber zurück zum Thema:
Beurteilte Mark Zuckerberg, Gründer von Facebook vor knapp zehn Jahren sein Produkt noch als social norm, erstaunte er kürzlich mit der öffentlichen Aussage: "Ich bin überzeugt, dass die Regierungen und Gesetzgebung eine viel aktivere Rolle in der Regelung des Internets spielen müssten". Erstaunlich be-denkt man des Aufschreiens der Facebook-Gemeinde, weil die Chinesen und Russen den ungehinderten Informationsfluss einschränken, den Einfluss des american way of life ausblenden wollen. Auch wir be-merken, wie Europa weitgehend amerikanisiert wurde. Hohe Zeit also, nachzudenken. Der französischen Finanzminister hat dies bereits getan, sein Vorschlag, die GAFAM’s endlich gerecht zu besteuern, hat ohne Widerstand das Parlament passiert. Gut, das Ärgernis «America first» hat das Problem verstärkt, bewuss-ter gemacht.
Auch Zuckerberg bereiten die gehackten Adressstämme, Systemlöcher und immer wieder auftretende Sicherheitslecks Sorgen. Da tummeln sich ungehindert Fake-Newers, Nazis, Terroisten, Kinderschänder und mobbende Schüler und Schülerinnen auf dem Netz, tauschen getürkte Nachrichten, Hakenkreuze, Bombeninfos, Pornos und pubertäre Bösartigkeiten aus, und niemand scheint die Mittel und den Willen zu haben, die gerufenen Geister wieder loszuwerden. Zwar stehen die fruchtlosen Streitigkeiten um beein-flusste Präsidentschaftswahlen immer noch an, noch gestehen die Briten nicht ein, dass allenfalls gut organisierte, getürkte News den Brexit auslösten, immer noch geistern Aufrufe zum Endkampf an der Terrorfront auf dem Netz und immer noch ziehen sich Teenies für leere Versprechen vor der Handykame-ra aus. Da nutzen weder Grundkurse in der Primarschule zu den Gefahren von Internet, noch ständig verfeinerte Gesetzestexte und schon gar nicht Bestrebungen auf nationaler Ebene. Die Idee, die Betreiber der sozialen Netzwerke direkt verantwortlich und haftbar zu machen, tönt bestechend gut, zumal diese damit milliardenschwere Gewinn erarbeiten. Würde aber vermutlich vor allem ein Heer von Juristen mit unsäglichen Klagesummen beschäftigen, statt tatsächlich wirksam zu sein. Ein Mix aus international ge-sicherten gesetzlichen und technischen Auflagen könnte vieles bringen, aber auch Wertminderungen für die Unternehmen und damit Verlust an Steuersubstrate zur Folge haben. Würden das die Aktionäre tat-sächlich goutieren?
Mark Zuckerberg als Zauberlehrling, der Ruf tönt bereits laut und deutlich nach dem ordnenden Meister? Und diese Rolle sollen ausgerechnet jene übernehmen, deren einziges und wirklich angestrebtes Ziel die Wiederwahl und der Machterhalt ist?
Fly-In
Von aussen her betrachtet
Schon das Briefing schaffte klare Voraussetzungen, 5 bis 7 Kilo Gepäck waren angesagt. So stand ich am Donnerstagmorgen, kurz behost und folgsam mit 4,8 kg in demonstrativ gelassener Haltung im "Speck". Die Laune war blendend, der Himmel hingegen nicht mehr wie tags zuvor. Der Flugi – ich weiss, das sa-gen nur Laien – stand bereit und kam mir plötzlich irgendwie etwas gar klein vor. Zwei Spritzer Bachblü-ten von Jacqueline der Fluggewohnten verabreicht und ab ging’s über die Graspiste empor zum Himmel. Das Wetter verführte Dieter zu wenig optimistische Prognosen; ein erster Hüpfer sollte über Dôle und wenn alles gut geht bis Beaune führen. Im Kopf memorierte ich bereits die Speiserestaurants der Côte d’Or. Erste Lektion: Das Wetter interessiert einem schon ein bisschen mehr als sonst beim Fliegen.
In Dôle schien es, die Reise könnte möglicherweise doch weiter reichen. Allerdings, über dem hügeligen Hinterland verfinsterte sich der Himmel zunehmend und einige Spritzer auf der Scheibe liessen Ungutes ahnen. Geschickt kurvte Dieter die Cessna zwischen den grauen und dunkelgrauen Wolkentürme hin-durch, immer ein Auge auf die vorbei streichenden Kleinflugplätze gerichtet, auf einer Höhe, die uns
leicht die Zeit mit den Turmuhren der Kirchen vergleichen liess. (Typische Ansichten eines Greenhorns: Laut dem Piloten haben wir zu keiner Zeit die vorgeschrieben Minimalhöhe unterschritten!)
Bis der Hunger und das bleiche Schlucken von Jürg uns in Amboise quasi zu Boden zwang. Der kalte Wind liess darauf schliessen, dass wir bereits hinter der Gewitterfront sassen. Lange Hosen waren wieder ange-sagt. Aber gegen Westen zu hellte sich der Himmel auf und ein flottes Tempo war angesagt; geradewegs zur Île d’Yeu. Hier zeigte sich bald: Nicht alle Teilnehmer am Fly-In schafften den Sprung auf Anhieb. Beim Apéritif haben wir uns etwas kennengelernt und bei «Chez Père Raballand» schlürften wir bereits gemeinsam die Austern. Und irgendwann sind alle plötzlich schnell müde geworden.
Anderntags ging es per Bus um die Insel mit Zwischenhalt am Aéroport wo die Sigg's eben landeten und zustiegen. Viel tourist 'äuser und andere Ausblicke, aber eindeutiger Höhepunkt war die Gartenbeiz des «Port de la Meule», denn Durst war angesagt. Es ist wohl niemandem gelungen, das deutsche Wortpuzzle der Chauffeuse sinnvoll zusammenzusetzen. Nach leicht gehetztem Mittagessen ging es wieder in die Lüfte, mit Bordeaux als Ziel. Unser kurzes Auftanken in La Rochelle sollte sich taktisch als richtig erwei-sen. Sassen wir doch im „Mercure“ bereits beim Hopfen, als die Nachfolgenden sich erst mal nach der Dusche sehnten.
Das Nachtessen im noblen «Jardin de Burdigala» wurde mit einem Champagnerapéritif eröffnet; es folg-ten die Fantaisie de Langoustines au Vieux Vinaigre, das Filet de Bœuf en croûte, das leicht noch eine halbe Stunde bei 80° ertragen hätte, und die obligate Assiette de Fromages Affinés. Abgerundet wurde das Dîner mit einem Vacherin aux Fruits de Saison und dem Café et les Mignardises. Meines Wissens stiegen anschliessend die Mässigen zeitig in die Federn. Eine kleine Delegation aus dem Zürioberland be-suchte das farbige und fröhliche fête de la musique in den Altstadtgassen von Bordeaux.
Der Samstag war eindeutig der vertieften Bildung gewidmet. Dem Besuch einer wirklich kleinen Höhle folgte eine Einführung in die zeitgemässe französische Verpflegung (Bocuse verdächtig) mit anschlies-sendem Museums- und Kellereibesuch. Eine kleine Programmänderung: Monsieur Rotschild empfängt ungern und samstags ohnehin nicht. Dies die Botschaft des Reiseleiters. Aber auch der propriétaire des Château Maucaillou schien Begegnungsängste vor seiner Kundschaft zu hegen.
La petite Suissesse die uns durch die Säle bis zur Degustation und zum Weinladen trieb, setzte alle, wirk-lich alle Mittel ein, um die Herren zum Weinordern zu verführen. Zugegeben, sie machte das echt profes-sionell. Zumindest zwei der Fliegerinnen musterten kritisch, ob das Scharwenzeln der gut geschnürten Blondine wohl zum Erfolg führen werde. Zur Ehrenrettung der Herren sei gesagt, der Verkauf fiel äusserst mager aus. Ich denke, auch der Wein hielt nicht alle Versprechungen. Auf der Rückfahrt bewies uns der Carchauffeur, dass der Strassenverkehr wesentlich grössere Risiken in sich birgt als die Fliegerei.
Die Dînerkarte im « Alhambra » versprach und hielt auch viel: der Velouté glacé de Tomate aux Moules
de Bouchot et son île flottante parfumée au basilic folgten les Escalopines de Foie Gras poêlées aux ceri-ses acidulées et herbes folles. Beides ausgezeichnet gelungen. Es folgte der Hauptgang in verschiedene Variationen. Zumindest mein Pigeon rôti et desossé à la folie d'Estragon dürfte die Pflichtzahl der Flug-stunden gut erfüllt haben. Die Tarte fine à l'abricot et gros sucre, crème fouettée parfumée à la liqueur versöhnte mich wieder mit der Küche. Der Sonntag führte uns über einen kurzen für mich ganz persön-lichen Abstecher im Südburgund und hoch über der Expo zurück ins Oberland.
Was bleibt? Ich habe Mitmenschen aus mir wenig vertrautem Kreis kennen gelernt. Der stinkfaule Hoch-flieger mit Drachenbegleitung (Originalton der Eigenbewertung) und die quirlige rousse, die ständig zwi-schen Übersprudeln und eingerolltem Schlafen pendelte, wie mir schien. Mitmenschen, die zu allem und jedem eine gescheite Erklärung wussten, selbst zu alten Filmmaschinen, und der sichtlich Feinfühlende, dessen Namen sonst blutiges verspricht (Hubertus: Der Balkan beginnt definitiv nach dem Arlberg). Der Benjamin der Gruppe, der für die Organisation zeichnete und deswegen auch einiges einstecken musste und nicht zuletzt der passionierte Tiefflieger, den ich zwar schon länger kenne und der als Bettnachbar unter meiner frühmorgendlichen Hochform arg leiden musste.
Ich habe gelernt, dass Flieger viel Gemeinsames haben mit den Jägern und Fischern. Mit Sicherheit ge-meinsam habe Sie eines: Alle "hypern" völlig, wenn es ums Meteo geht. Und ich habe erkannt, dass selbst geradeaus fliegen nicht unproblematisch ist. Ich danke im Namen von uns drei Gästen für die spontane und herzliche Aufnahme und die wirklich schönen Stunden, die wir mit Euch verbringen durften.
Frauenstreik 2019
In der Arena beim Schweizer Fernsehen SFR: Ganz vorneweg, ich habe diese Sendung nicht durchge-halten, der Argumente, aber auch der Besetzung wegen. Erfrischend die beiden jungen Vertreterinnen, neben altbekannten politischen Schlachtrossen, diese, dem schnellen und manchmal witzigen Stil of-fensichtlich nicht gewachsen. Lustig, aber auch spannend finde ich Tatsache, dass der neue politische Schwung von zwei Frauen mit ausländischer Herkunft bestritten wird: Die linke Tamara Funiciello mit italienischem, die rechtsrechte Camille Lothe mit französischem Hintergrund. Aber als die Arena in die übliche Repetition längst wiedergekauter Argumente abglitt, habe ich es nicht mehr ausgehalten. Da
war selbst der Fussball noch attraktiver.
Aber natürlich ist die Frage «Braucht es einen Frauenstreik» schlicht auch nicht zu beantworten. Er hat einfach stattgefunden, spontan doch offensichtlich gut vorbereitet, liebevoll, witzig, manchmal gehässig, verständlicherweise und er konnte mehrere hunderttausend Frauen auf die Strasse treiben. Das Argu-ment des linksautonomen Subversion liegt schlicht daneben, die SP Schweiz wäre ausserordentlich glück-lich über den Zulauf: knapp 300'000 streikenden Frauen stehen etwa im Verhältnis 1 zu 20 den einge-schriebenen SP-Frauen gegenüber. Da können die Anliegen der so grossen Anzahl engagierter Schweize-rinnen jeglicher Herkunft doch nicht einfach ignoriert werden. Einen Tag auf dreihundertfünfundsechzig voller Happenings sind weiss Gott kein Problem in einer Schweiz die von freiwilligem und unfreiwilligem Aktivismus geprägt ist. Dass im Laufe der Aktionen ein Brunnen in feminines Lila umgefärbt wurde, war doch eine Pressefoto wert. Zu unserer Zeit löste die Umgestaltung des Dorfbrunnens in ein Schaumbad eine gestrenge Untersuchung durch den Herrn Bezirksrat aus. Frauen dürfen anscheinend Dinge tun, die sonst verboten sind. Und das ist gut so.
In meiner beruflich noch aktiven Zeit war «Gleicher Lohn für gleiche Arbeit» eine Selbstverständlichkeit. Zugegeben, die beamtete Laufbahn, die ich einschlug, war damals den Frauen noch gar nicht geöffnet. Wir Herren waren dem Konkurrenzdruck nicht ausgesetzt, obgleich ein paar Weibchen die Klasse schon etwas aufgemischt hätten. Später fiel es dem Unternehmen leichter, die Karrieren der diplomierte Lauf-bahnen mit ausgesuchten Frauen zu bestücken. Allerdings kamen die fast durchwegs unverheirateten Damen leicht in den Ruf der Quotenfrauen. Leider, à mon avis. Dass der erste weibliche CEO über einen Finanzskandal stolperte, ist schade, aber es wurden im selben Unternehmen schon Generaldirektoren wegen wesentlich kleineren Summen in die Wüste geschickt.
Auch im Ausland hat dieser Anlass seine grosse Beachtung gefunden. Die Meldung « Grève féministe en Suisse» hat auf allen französischen TV-Sendern Erstaunen ausgelöst, aber auch Heiterkeit: Gibt es über-haupt sowas in der perfekten Schweiz? Wer regt sich en France denn schon auf von wegen geschlechts-bedingter Lohnunterschiede, wenn 43% zum SMIC-Lohn, dem Mindestlohn, arbeiten. Frauen wie Männer.
Geduld
Ungeduld ist kein ausschliessliches Recht der Jugend, auch Frührentner leiden darunter, wenn auch aus anderen Gründen. Geduld kann man sich eh nur noch in der vierten Lebensphase leisten. Toujours à
mon avis…
Unser Grossvater Schang fischte an freien Sonntage am Greifensee, nur unterbrochen durch das Mit-tagessen, das er selbst frühmorgens in den Ofen schob und von Grossmutter im Kinderwagen an den Fischerplatz gebracht wurde. Dick eingepackt in Kissen, so dass es warm blieb. Das Fischen pflegte auch unser Vater, mit Erfolg, während langen Sommerferien am Inn im Engvadinerdörfchen Susch, am Lützel-see, wenn seine Klär die Post in unserem Bauerndorf betreute und auf dem Rapperswilerdamm.
Vergebens versuchte er mir diese Kunst beizubringen und es endete mit den Worten «Der Herrgott hat
dir viele Talente gegeben, ausser der Geduld!»
Nicht umsonst heisst es Geduldsprobe:
Der Jammer mit der Menschheit ist, dass die Klugen feige, die Tapferen dumm und die Fähigen unge-duldig sind.
« Googeln »
Zwar stehen sie, auf dem obersten Brett des Büchergestells, fünfzehn Bände Meyers Lexikon, Ausgabe 1924, und noch oberhalb des ersten Eintrages unter A ziert der Titel «Bildung macht frei». Zwar in der siebten Auflage – die erste erschien immerhin bereits 1826! – aber ich denke, das 200. Jubiläum wird die Abteilung Lexika nicht mehr bewusst erleben. Das hier sorgsam zusammengetragene Wissen ist nach 95 Jahren gerade noch antiquarisch bedeutend.
Was das zusammengetragen wurde schöpfte aus dem gesammelten Wissen der Bildungsanstalten und Erkenntnisse des täglichen Lebens, ein Werk ausschliesslich von Fachleuten. Einst erworben vom Verband Schweizerische Post Beamte als Nachschlagewerk in der Verbandsbibliothek, geöffnet einmal wöchentlich und betreut von gradierten Beamten im Ruhestand. Die Bände haben sämtliche Ausleihen, Umzüge und auch zwei Dezenien Dornröschenschlaf in einem Archivkasten in der Sihlpost Zürich einigermassen gut überstanden und sind im Zuge der Auflösung der Bibliothek zusammen mit einigen hundert anderen Bü-chern in meinen Besitz gelangt. Nicht geschenkt, aber günstig.
In meiner jugendlicheren Zeit kamen Lexika schwer in Mode; verschiedene Verlage boten zu kleinen Preisen Nachschlagewerke an. In monatlichen Raten zu 3.99, auf dass auch das kleine Volk am aufge-listeten Wissen teilnehmen könne. Es muss ein gutes Geschäft gewesen sein, denn in vielen Haushalten zierten die ebenfalls in Mode gekommenen Wohnwände. Gesammeltes in Readers Digest-Modus war in Europa angekommen. Jederzeit kündbar, selber schuld, wenn das erstandene Wissen bei «L» ins Stocken geriet.
Kurz vor der Jahrtausendwende schlugen die Amis erneut zu; die Suchmaschine Google wurde in die Welt gesetzt. Weltweit wurde Wissen wie in ein schwarzes Loch gesaugt und mittlerweile in über hundert Spra-chen wieder ausgespuckt. Besonders demokratisch erscheint die Möglichkeit der redaktionellen Mitwir-kung. Zwar setzt Google scheinbar hohe professionelle Standard, aber man kann getrost überzeugt sein, dass weltweite eine Kontrolle auch nur bedingt möglich ist. Und trotzdem misstrauen einige arg dem american way, Meister Putin drohte im vergangenen Jahr mit der Sperre und China hat schlicht die Grün-dung von Google China gefordert und steuert damit bewusst, was in der Volksrepublik zu wissen nötig ist.
Natürlich ist in den Jahren auch ein stetes Misstrauen gegenüber der amerikanischen Weltsicht entstan-den, zu Recht, weil dieser schlicht das Verständnis für die Vielfalt der Kulturen abgeht. Eigentlich erstaun-lich, zumal die Bevölkerung der Vereinigten Staaten, einmal die Urbevölkerung bis auf marginale Reste neutralisiert, fast durchwegs aus Einwanderern besteht. Einmal angekommen gaben sie sich erheblich Mühe, amerikanisch aufzutreten. Selbst wenn zuhause weiterhin Polnisch oder Italienisch gesprochen wurde. Und um diese ständig wachsende Anzahl auf einen generellen Bildungsstand zu bringen, verfiel man auf den Weg der Vereinfachung. So dass alle alles verstanden, beginnend mit der Sprache. Dass 27% der amerikanischen Bürger Analphabeten sind, ist lediglich eine statistische Grösse, leider. Über-spitzt gesagt, erstaunt deshalb wenig, dass ein derart Bildungsferner zum Präsidenten gewählt werden konnte.
Man ist versucht, nach bald zwei Jahrhunderten nach Meyer zu fordern, eine neue "Enzyklopädie" zu schreiben! Eine echte, das Gegenteil von Wikipedia und seiner Brühe der schlechten Kultur! Ein gemein-sames Unternehmen, das die Kompetenz hat, Tausende von wahren Gelehrten zusammenzubringen, die
in allen Disziplinen in der Lage sind, einen Zustand des zu Beginn des 21. Jahrhunderts verfügbaren Wissens zu erarbeiten?
Vielleicht steht der Meyer nicht umsonst ganz zuoberst, nur noch mit dem IKEA-Böckli erreichbar. Aber
als Mahnung.
Ein Nachruf
ist die schweizweite Betroffenheit der Medienschaffenden, wenn ein «Topshot» einfach so aus dem Leben scheidet. Noch nicht einmal fünfzig, ein Star am Himmel der Wirtschaftswelt, unersetzlich beinahe; einer der nach einem 18-Stundentag auch noch sportlich an die Grenzen ging, geschätzt im Unternehmen, hart in den Entscheiden, hart mit sich selbst. Ein emotionaler Tsunami überschwemmt die Presse, man über-bietet sich an lobenden Nachrufen, selbst von den schärfsten Konkurrenten. Und endlich erkennt man in seiner ganzen Tiefe, wie grausam das Leben mit unseren Managern umgeht. Ein Moment zum Nachden-ken.
Nicht ganz selbstlos ackern diese Wirtschaftsprimaten. Ruhm, uneingeschränkte Anerkennung und ein sie-benstelliges Salär und vielleicht ein finaler Karriereschritt winken. Zugegeben, Meier und Müller arbeiten auch hundert Prozent, aber doch nicht so. Und, nur so nebenbei, gerade deshalb musste diese unsägliche Eins-zu-zwölf-Initiative haushoch abgelehnt werden. Der richtige Moment zum Nachdenken.
Sind Mitmenschen, die riskieren, dafür alles zu verlieren, die eigene Persönlichkeit, die Familie, die ech-ten Freunde, die Gesundheit, sind diese Mitmenschen wirklich dazu geeignet, ein menschengerechtes Um-feld in den Unternehmen zu schaffen? Sind Mitmenschen, die mit dem Kopf, mit dem Körper und mit der Seele ständig an die Grenzen gehen, tatsächlich die richtigen Verantwortungsträger? Echtes Bedauern dafür, dass hier ein Mensch freiwillig aus dem Leben ging, ok, Mitleid mit den gebeutelten Managern ganz sicher nicht. Nachdenken ist durchaus erlaubt.
Nüme zwänzgi
Wänn i so bim Heinze uf em Schrage ligge und d’Ultraschallchugele über d’Achsel chrüselet,
hät me gnueg Ziit zum naa-z-studiere.
D’Ärm sind tünner worde. Me bruucht’s nüme zum Seck ume-z-lupfe, wo aagäblich drissg Kilo törfed haa. Me bruucht d’Chraft nüme, zum andere uf d’Nase z’haue
Früener hät mer gmeint, me müess nach em Samstignachtdienscht no uf de Tödi cheibe...
Früener hämmer no jedem härzige Maitli naa guenet…
Früner hät’s no möge en Halbe mee liide…
Früner simmer um die Ziit no in Apero ggange…
Hüt gömmer zu däre Ziit i d’Therapie
Nümme zwänzgi!
04.89
Greta
Schwedin, aber weiss Gott keine Pipi Langstrumpf; ohne dicke abstehenden rote, vielmehr dünne maus-braunen Hängezöpfe. Kein breites lautes Lachen, zumeist mit ernster Miene von traurig bis zornig. Aber von ähnlich aufdringlicher Hartnäckigkeit, von manchen fast ein bisschen arrogant empfunden. Man kann sie lieben oder hassen, aber Greta Thunberg ist ein Fakt.
Lange habe ich mich um dieses Thema gedrückt. Ohne schlechtes Gewissen eigentlich, ausser dass wir immer noch Nespresso-Kaffee trinken, aber dafür nicht wegen jedem Pipi gleich sechs Liter Trinkwasser hinterherspülen. Reste im Kühlschrank werden zur Grundlage kleiner Plättchen, Lichter werden abgelöscht (ausser der Hausherr vergisst die kleine Lampe nach der Siesta) und Gemüseabfälle mutieren zu Fonds, bevor sie zur Endverwertung den Hühnern gebracht werden. Schweren Herzens haben wir im vergange-nen Hitzesommer sehr gezielt das Sterben der neuen Pflanzungen verhindert; die «SAUR» hat es mit
einer gesalzenen Wasserrechnung gedankt. Bref, wir geben uns Mühe.
Aber jetzt zum Weltklima. Greta und Trump widerspiegeln die beiden Extreme, die trotzig Fordernde und der Leugner. Dazwischen die Politik, die die Wähler und Wählerinnen, die Wirtschaftsinteressen, die Land-wirte, die Schülerinnen und Studenten, die «Werte-Erhalter» und weiss Gott was alles berücksichtigen will, kann oder vielleicht gar muss. Die schwierige Suche zwischen Hysterie und Ignoranz. Und dabei spielt natürlich auch die eigene Wählbarkeit eine Rolle: Geht es um politische Interessen, können selbst auf Stufe Ortspartei die Anliegen der Ökologen ins Abseits geraten. Dann wirkt die Welt plötzlich wieder sehr klein.
Feierten die französischen Politiker vor wenigen Jahren noch das «Klima-Abkommen von Paris», endlich der langersehnte Durchbruch, sagte Monsieur le président. Nun wird die anstehende Erfüllung der dama-ligen Versprechen zum Stolperstein. Die einst «mächtigste Politikerin der Welt» erklärt treuherzig, dass künftige Schritte sorgsam überlegt sein müssen und feiert gleichzeitig den deutschen «Ausstieg aus der Kohle bis im Jahr 2038» als Verhandlungserfolg. Ob sich die dann 84-jährige wohl noch daran erinnern mag? Bösartige behaupten ohnehin, die bei der Verkündung gezeigte «Merkel-Raute» verhindere nur, hinter dem Rücken die Finger zu kreuzen. Derweil der französische Chef eine Bürgerversammlung der andern folgen lässt, um den Glauben an den guten Willen zur Veränderung zu stärken. Und anschliessend die gewonnen Erkenntnisse einer weiteren Arbeitsgruppe anvertraut, die kaum schnelle Entscheide prä-sentieren wird, ganz sicher nicht vor den Wahlen.
Die politischen Entscheider geraten langsam und stetig in die Klemme, der Slogan von Macron, «Make
our planet greater», verblasst. Jene, die endlich Taten fordern, meinen damit das ausdrückliche « Jetzt - Now! ». Und verlieren ebenso stetig den Glauben an die Demokratie. Was da an den Freitagsdemos der Schüler wächst, wird vielleicht bald das Abtreten der heute Mächtigen fordern. Noch sind es eher Happe-nings, das originellste Plakat ist noch wichtiger, vielleicht auch der freie Nachmittag vor dem langersehn-ten Wochenende. Solange die Studenten noch im Gartenrestaurant rund um die gasbeheizte Säule den Umsturz diskutieren, bleibt wohl noch ein bisschen Zeit.
Der Verlust am Glauben an den demokratischen Weg birgt wirkliche Gefahren in sich. Gut, es geht ja
nicht geradewegs in die Diktatur, aber die Verweigerung der Beteiligung an politischen Prozessen reicht durchaus zu Fehlentscheiden. Und zu Entscheiden einer relativen Minderheit, die unter Ausschuss anderer Meinungen, möglicherweise ganz eigene Ziele verfolgt. Aber nicht nur die «Ecolos» wollen nicht mehr länger warten und sie behaupten, auch die Natur könne nicht mehr zuwarten. Zu Recht! Die Manifes-tationen für eine bessere Umwelt betrachte ich als einen wichtigen Beitrag der zukünftigen Generation.
01.20
Hochdeutsch
Die Deutschschweizer sind die Einzigen im deutschen Sprachraum, die Schriftdeutsch sprechen.
Alle andern bezeichnen ihre Muttersprache als Teil der deutschen Hochsprache. Ob sie nun bajuwarisch palavern, am Bodensee schwäbeln, in Berlinerisch oder gar in Kölsch ihre Geschichte erzählen. Aber immer in Deutsch. Zugegeben, wenn ungeübte Eidgenossen ins Mikrofon sprechen sollten, kommt das zuweilen schon ein bisschen sehr ungelenk daher. Dem urschweizerische Spassvogel Emil ist zu verdan-ken, dass das eigenartige Deutsch trotz allem auch in Deutschland sympathisch schien. Andererseits, begegnet man dem heimatlich gefärbten Filmwerk von BR, SWR und OE, ruft es manchmal ebenso laut nach Untertitelung.
Ein heute leider etwas entfernter Freund klammerte sich einst verzweifelt an den Titel «Redakteur», der schweizerische «Redaktor» schien ihm zu unprofessionell. Aber der Verlag in der Ostschweiz liegt wenig-stens halbwegs auf dem Weg in seine Heimatstadt Wien, die, quasi am äussersten Rand der Lingua Ger-manica gelegen, ein Hort von manchmal sehr zweifelhaften Lehnwörtern. Aber er spricht deutsch, sagt er. Wie sein ehemaliger Redaktionskollege, damals noch beim Boulevard; ein Bayer. Na ja.
Im Laufe einer Arbeit, die in eine lesbare Form gebracht werden sollte, erlebte ich die spürbare Verwur-zelung in meinem heimatlichen Idiom, einer Sprache, die sich nach wie vor wehrt gegen Grammatik-regeln und Ausdrucksweisen, die eher an Mathematik erinnern. Aber das ist eine persönliche Angelegen-heit. Da hatte es der Gotthelf schon noch ein bisschen einfacher, aber schliesslich richtete er sich auch direkt an das Volk, in deren Mitte er lebte.
Nun, Schriftdeutsch war zu unserer Zeit für manchen Lehrer ein echtes Pflichtfach. Nach Aktivdienster-fahrungen konnte es nicht sein, uns Schülern ein lupenreines Deutsch beizubringen. Gestern noch Feind und jetzt wieder normaler Mitmensch ennet dem Rhein. Also wurde ein zwar korrektes Deutsch vermittelt, aber auf eine Weise, dass manche sich auch heute nicht recht wohl fühlen gegenüber der geschliffenen, zuweilen allzu präzisen Ausdrucksweise unserer nicht nur sprachlichen Nachbarn im Norden. Gut, etwas besser mit jenen im Spätzle- und Riesling-Gürtel aufgrund der gemeinsamen alemanischen DNA.
In unserer Gemeinde gab es da einen welschen Uhrmacher aus dem Jura. Auch nach dreissig Jahren wa-ren seine Deutschkenntnisse äusserst mager, aber die Serviertochter verstand jedenfalls sein Wunsch nach einem demi du blanc. Für ihn gab es gar eine innerschweizerische Grenze; er unterschied lediglich zwischen «Schwabe und Söischwabe». Warum er ausgerechnet im Zürcher Oberland seine «Butik» er-öffnete, blieb unklar.
Aber zurück zum Projekt. Der Lektor verfolgte meine Texte, korrigierte, machte Vorschläge und ebnete,
so dass auch Lesende im gesamten Sprachgebiet sich angesprochen fühlen können. Das ging nicht immer ohne kleine Friktionen, Abwägen, ob der Schreibende sich im Text wiedererkennt, Sprünge, die der Lektor partout nicht verstehe will, auf denen aber beharrt wird. Ich habe mein Schreiben nie als Ringen mit den Worten empfunden. Gut, Monate später findet man vielleicht eine Formulierung wenig elegant. Dann wird eben neu geschliffen, mit modernen Schreibsystemen kein Problem. Bleibt die Frage, werde ich jetzt ein anderes Deutsch schreiben, ein germanisches anstelle des alemannischen, ein allseits verständliches anstelle einer Schreibe, die links und rechts Möglichkeiten zum Abschweifen, zum Weiterdenken erlau-ben?
Ich bleibe wohl ein weiterhin im Schriftdeutsch gefangener Schreibender.
Ich bin links...
Täglich begegnete mir einst auf dem Heimweg dieser Spruch, bereits vor Jahren schwungvoll auf einen gelben Kleidercontainer gesprayt. Mit zunehmender Reife habe ich natürlich gelernt, dass derartige Aus-sagen immer eine Frage der eigenen Position sind. Also wenn ich die Querelen in der SP verfolge, dann habe ich zuweilen den Eindruck, es geht vor allem darum, wer wie links von Links steht und um dies her-auszufinden, hat man sogar eine Basisdiskussion losgetreten, deren Ende noch nicht abzusehen ist. Auf der anderen Seite und wenn ich die halbseitigen Inserate einer hier nicht namentlich genannten Partei lese, wird mir eindrücklich klar, dass für den "Robin Hood der Einäugigen" von Herrliberg, ohnehin jeder links von ihm ist, der nicht präzise in seinen Latschen steht. Denkt mal, all die Sozialisten, die es anschei-nend in den anderen Parteien gibt, würden in die SP konvertieren!
Zugegeben, ich bin auch links, zumindest wenn es um das Kraftwerk Herz geht. Es schlägt auf der linken Seite, unbeirrbar, was im Hirn auch gerade vorgeht. Allerdings musste ich schon im zarten Alter von elf Jahren erfahren, dass das nicht für alle Mitmenschen zutrifft. Da hatte doch der Schularzt tatsächlich herausgefunden, dass der gleichaltrige Bäckerssohn das Herz in der rechten Brusthälfte trug. Ich nehme an, es war dies nicht eine spontane Strafe des Schöpfers, obgleich der Bäckermeister als aufrechter Ge-werbetreibender natürlich wenig gemein hatte mit den linken Brüdern aus der Maschinenfabrik. Ausser, dass er ihnen sein Brot und an Festtagen seine Original Schwarzwäldertorte verkaufte.
Links war zu jener Zet nach meinen Begriffen ohnehin nur meine neun Jahre ältere Schwester Margret:
Sie hörte Jazz, las Sartre, verkehrte im Café Select und färbte sich die Haare. Aber ich bin da jetzt etwas abgeschweift.
Ich bin links, wenn es darum geht, meine Kollegen wieder einmal daran zu erinnern, dass unternehme-rischer Erfolg weitgehend vom Wohl der in Kürze wieder raren Mitarbeitenden abhängt. Die müssten ei-gentlich mehrheitlich Linke sein, denn sie bleiben meistens nett, selbst wenn man ihnen die wohlverdiente Lohnerhöhung abschlägt.
Manchmal bin ich sogar stramm links, quasi political correct. Besonders wenn ein bekannter Politiker, der ständig zwischen bedingungslosem Gehorsam gegenüber seinem Parteiboss und seinem Auftrag als Volks-vertreter hin- und her laviert, am Stammtisch unbedingt seine dümmlichen Ausländerwitze loswerden muss, obgleich er ein miserabler Witzerzähler ist. Man sollte es ihm einmal sagen.
Der Sturm hatte den besprayten Container umgeblasen; er lag eine Woche auf der rechten Seite, natür-lich immer aus meiner Sicht.
Innere Schweinehunde oder so
Wer heute etwas auf sich hält, sucht bewusst Grenzerfahrungen. Männer wie Frauen sammeln ganze Sträusse von Adrenalinstössen, stürzen sich todesmutig von Brücken, jagen ihre Körper über steile Berg-strecken oder rasen mit dem Bike mit 100 Stundenkilometer zu Tale. Man testet riskante Tauchtiefen, klettert ohne Sauerstoff auf die Himalajaberge und treibt den Body quer Schweiz vom Jura nach Poschiavo und zurück oder von der amerikanischen Ost- zur Westküste. Auch wenn man die letzten tausend Kilometer eigentlich nur noch in Trance durch die Wüste von Nevada taumelt und Jahre danach nachts noch von grauenhaften Träumen aufgeschreckt wird. Sollte der Körper mal seinen Dienst verweigern, wird zur Chemiekeule gegriffen, ungeniert und bedenkenlos. Menschen, die ihren Körper in religiösem Übereifer kasteien, werden als fanatische Spinner abgetan, Spitzensportler, werden, selbst auf dem übelsten Drogentrip, als Vorbilder, als kämpfende Helden beklatscht. Oder fallen im schlechtesten Fall tot vom Rennrad. Liegen die Gründe der mittelalterlich verblendeten „Geissler“ und der Sportsüchtigen möglicherweise gar nicht so weit auseinander, wird beide Male insgeheim der sündige Körper bestraft? Ist es tatsächlich so, dass jene, die partout und immer wieder ihren „inneren Schweinehund“ überwinden müssen, über etwas verfügen, was mir schlicht abgeht? Eben irgend so ein Schweinehund in mir.
Internationaler Tag des Mannes – 19. November
Ich, ein alter weisser Mann
Von weissen Eltern gezeugt und deshalb kaum Mutters Bauch entflohen, mit dem ewigen Stigma der Erbsünde* belastet.
Dumm konnte man sich seine Eltern nicht aussuchen. Heutzutage ist das einfacher. Wem nach ein biss-chen mehr Exotik ist, kann sich einen Erzeuger entsprechend aussuchen oder bei Ablehnung der natürli-chen Insemination aus irgendwelchen Motiven in der Samenbank seinen Wunsch in Bestellung geben. Ein bisschen mehr Farbe kann einem vielleicht den Ruf als rassistischer, egomaner, frauenfeindlicher Verge-waltiger und Mörder ersparen. «Der toxische Mann», noch so ein Blödsinn.
Alte weisse Männer
Als meine Ahnen noch mit der Axt harmlose Landleute erschlugen, die «neue Welt» eroberten und sich
die Länder samt farbigem Inhalt untertan machten, den Schlitzaugen Opium andrehten und die armen Neger zum Baumwollpflücken nach Amerika verschleppten?
Nein und nochmals nein, dem ist nicht so. Meine Ahnen waren zumeist arbeitsame Mitmenschen mit einfachen Bedürfnissen. Arbeitsam aus der Not und anderweitig beschäftigt. Sie bewohnten mehrheitlich die Forch, ein Hügelzug östlich von Zürich und hielten sich an die natürlichen Grenzen des gleichnamigen Kantons.
Gut, zugegeben, sie marschierten bis Murten, um den bösen Burgundern auf den Kopf zu hauen und zu-sammen mit Zwingli und dem Fähnlein Weber gegen die Katholen nach Kappel am Albis. Anschliessend fehlten in der Gemeinde Egg fünfzehn junge weisse Männer.
Femizide
als «tödliche Gewalt gegen Frauen oder eine Frau aufgrund des Geschlechts». Ein Kunstwort aus der fe-ministischen Bewegung, geschaffen aus dem Wort Homizid, Tötung eines Menschen. Ist beruhigend, die Feministinnen zählen sich trotzdem zu den Menschen. Eine ihrer weiteren, abgrenzenden Schöpfung: Mensch innen. Mit Zischlaut, Stern, Doppelpunkt oder Bindestrich dazwischen. Ist das jetzt zynisch?
Zugegeben, die Tötung von Frauen ist ein trauriges Thema, auch in meiner zweiten Heimat. Alle drei
Tage wird eine Frau durch ihren Partner oder Ex umgebracht. Aus Eifersucht, aus Besitzanspruch, aus Wut, aus Enttäuschung, im Affekt und manchmal auch aus Mangel an gleichwertigen Argumenten. Da-gegen stirbt in Frankreich nur jeder zehnte Tag ein Mann unter der Gewalt seiner Partnerin. Aber die Frauen holen auf, laut Statistik. Das ist zynisch, aber wahr.
Vor kurzer Zeit brachte ein Mann seine etwas grössere Ehefrau um; grösser an Gestalt, an beruflicher Kompetenz, an Reife und an Brillanz. Er, etwas über dreissig, behaftet mit unbehandelten Erektions-störungen, konnte ihrem dringenden Kinderwunsch nicht entsprechen, erwürgte sie während einem heftigen Streit, brachte sie aus dem gemeinsamen Haus und versuchte sie in einer Waldlichtung zu verbrennen. Auch da scheiterte er. Das Gericht beurteilte die Tat als besonders grausam und verurteilte den Täter zu 24 Jahren Gefängnis. Einzelne riefen nach der Guillotine! Zurzeit streiten sich ihre Eltern
und Geschwister um Abfindungen in Millionenhöhe, unter anderem wegen Umsatzeinbussen in der Bar
der Familie. Zu bezahlen, wenn der Täter mit gegen sechzig aus dem Gefängnis entlassen wird.
Eine geschlagene Frau schiesst nach 40 Ehejahren im Hausgang ihren Peiniger mit seinem Jagdgewehr
in den Rücken. Totschlag im Affekt, das Gericht befindet mildernde Umstände und verurteilt sie zu 24 Monate bedingt. Verteidigt wird sie von zwei «feministischen Anwältinnen», zugereist aus Marseille und bezahlt von der vor dem Gericht lautstark demonstrierenden Frauenbewegung.
Eine ähnliche Geschichte: die zugegeben schwer missbrauchte Ehefrau schoss ihren Gatten mit dem Revolver ins Genick und verscharrte ihn unter Mithilfe ihrer Kinder im Wald. Verurteilt zu sechs Jahren, letztlich aber vom Präsidenten und Frauenversteher François Hollande begnadigt.
Fazit
Ich gehöre zu den 98,6 % Männern, deren Toxizität nicht nachgewiesen ist. Ich bin ein alter, weisser Mann, der weder farbige Menschen und Andersartige diskriminiert, noch seine Frau schlägt oder gar
tötet; auch nicht nach dreiundfünfzig aufgeregten und manchmal aufregenden Ehejahren.
Und ich erhoffe mir, etwas mehr an Gerechtigkeit und Verständnis. Gleichheit der Geschlechter sind nicht nur Löhne und Quoten und schon gar nicht eine Gendersprache. Und Jungs müssten auch echte Mög-lichkeiten haben, mit gleichen Chancen zu Männern zu werden.
* Der Begriff „Erbsünde“ bezieht sich auf Adams Sünde, als er verbotenerweise vom Baum der Erkenntnis gegessen hat, und deren Auswirkungen auf den Rest der Menschheit. Wikipedia.
Die Frucht der Erkenntnis, notabene dargereicht von seinem Weib Eva. Allerdings ist sie schuldlos, schliesslich ist sie lediglich ein nicht vollendeter Klon von Adam.
Und dann noch dies: Was für eine Hautfarbe hatte eigentlich Adam?
19/11/2021
PS: Was, wenn Adam und Eva Chinesen gewesen wären? Sie hätten die Schlange gegessen und wir wären alle im Paradies geblieben. Sagt Urs.
Jugendzeit
Vieles in Frankreich erinnert an meine Jugendzeit: hohes Gras, natürliche Hecken, unverbaute Strassen-ränder und der Fluss, der weitgehend seinen Lauf selber sucht. Natürlich ist nicht alles ideal. Gerne hätte man auf der abendlichen Heimfahrt einen weissen Randstreifen. Es muss ja nicht ein Kunstwerk aus Gott-hardgranit sein. Und wenn schon, dann darf auch noch ein Mittelstreifen gemalt werden, den man nicht ignorieren kann. Aber das ist natürlich keine leichte Aufgabe bei einer Strassenbreite von knapp fünf Me-tern. Andererseits, auf der Fahrt nach neun Uhr begegnen einem auf den knapp 20 Kilometern kein hal-bes Dutzend Fahrzeuge, später ist man zumeist ganz alleine.
Die Strassen sind vielmals von Hecken gesäumt, Schwarz- und Weissdorn, im Frühling eine herrliche Blü-tenpracht, den Sommer hindurch ein Versteck für zahlreiche Vögel und ihre Nahrung. Im Spätherbst rücken die Traktoren aus und stutzen die gewachsenen Äste. Unser Nachbar in der Mühle macht das be-sonders akurat. Der Grasstreifen zwischen dem ausgefransten Teer und der Hecke wird gerade mal zwei-mal geschnitten, die Pflicht des garde-champêtre. Zugegeben, die Angewohnheit, auch die hinterletzten Halme zu mähen, ist eine typisch schweizerische, wie das „zöpfeln“ des Misthaufens. Es soll alles ordent-lich sein. Und wenn diese ständige Ordnung nervt, geht’s ab in den Süden, dort wo die Zitronen blühen, oder so. Einst reichte es bis an den Lago Maggiore, heute muss man schon weiter fahren.
Vor unserem Haus staut der Fluss auf einer Breite von sieben, zurück gegen dreihundert Metern. Aber weiter oben, dort wo sie zusammen fliessen sind die Bäche noch frei, suchen sich ihren Weg durch die Buschungen, nagen an den Ufern, mal schnell, mal langsam, gestaut durch eine Erle, die sich quer gelegt hat. Kommt die Regenflut, geht es auch mal über die Wiesen, an uns vorbei, nie aber höher, obgleich wir doch mühevoll Sandsäcke schichteten.
Für mich und meine Pfadfinder-Kollegen ein Paradies für spannende Spiele, kunstvoll Bauten gegen die Wasser, das Wasser floss ungehindert durch die Turnschuhe. Diese Jugend ist vorbei, nicht nur für uns, auch für die anders gewohnten Agglos, deren Freizeitvergnügen eher digital verläuft. Jedenfalls, hier könnte man noch spielen wie dannzumal.
Klassentreffen
Eigentlich wollte ich nie wieder an meine Schulzeit erinnert werden. Wohl schon deshalb, weil ich mich in diesem ersten Lebenskorsett nicht wohl fühlte. Zu viel der Zwänge, zu viel „das musst Du auch noch“, zu viel des Meisters, der da vor der Klasse stand und Absolutes erzählte. Als immer etwas kränklicher Sprän-zel mit umgekipptem Bürstenschnitt war ich bestens für die Hänseleien meiner Schulkameraden geeignet. Dazu kam, dass ich als einziger Sohn eines Kranzschwingers und Dorfprominenten nicht so recht dem Vorbild entsprechen konnte. Das Leben half dann kräftig mit, dass der Tommy von der Post zum Thomas mit eigenen Vorstellungen und Kompetenzen heranreifte. So dass das Schultrauma einer halben Gene-ration von Jungs keine Last mehr war. Die Mädchen hatten und haben da weniger Mühe.
Also bin ich wieder der Einladung zum weiss-nicht-wievielten Klassentreffen gefolgt. Natürlich kommen
die Einen um die alten Schulschätze wiederzusehen, andere um über irgendwelche komische Schulge-schichten zu lachen. Das sind vermutlich jene, die die ehemaligen Hefte aufbewahren. Ich habe bei der letzten Züglete den „Hösli“ endgültig fortgeworfen. Leçon 6 oder so: „Jean se brosse les dents avec la brosse à dents“. Und letztlich kommen auch einige, nur um zu schauen, wie die anderen alt werden. Auch dies ist nicht zu verargen.
Bref, wir haben uns in der Ambassadoren-Stadt Solothurn getroffen, in der unsere Susi, die hier offen-sichtlich bekannte Suzanne, nach wie vor und sehr kompetent als Stadtführerin waltet. Selbstverständlich gab es ein paar Erinnerungen ins Zurück, aber man spürte, wichtig sind jetzt andere Dinge, die eigene Gesundheit, die Enkelkinder, die verbleibenden täglichen Aufgaben und Gedanken an ein gelebtes Leben, zumindest an dessen Höhepunkte. Was früher ein Ganztagesausflug mit Essen und anschliessendem Tanz bis in den späten Abend war, hat sich zu einer nicht allzu anstrengenden Führung und etwas noblerem Essen gewandelt. Anschliessend abgerundet mit einer gemütlich Schifffahrt bis zum nächsten grossen Bahnhof. Wo man sich dann plötzlich ziemlich schnell verabschiedete. Ich habe diesen Tag in Biel mit ei-nem „entrecôte chevaline“ und in heiterer Runde im Hotel abgeschlossen. Und vorgenommen, wieder zu kommen.
Vor ein paar Jahren beschloss man, den üblichen Fünfjahresrhythmus auf drei Jahre zu kürzen; an der let-zten Begegnung hiess es nun, „also dann in zwei Jahren, wenn wir fünfundsiebzig sind“. Wir werden älter, die Chancen, nochmals alte Schätze zu umarmen und über Schulerlebnisse zu lachen, schwinden rapide. Es gilt, was der noch verblieben Lehrer uns ans Herz legte: Pflegt weiter diese bald seltenen Begegnun-gen und vor allem, bleibt gesund. Lieber Guido, wir geben uns alle Mühe!
Verfasst auf der Heimfahrt im Stau auf der französischen A 40
Kop(p)f ab
Pizza Connection, Libanon-Connection, Trans-KB
S’Kommando verloore, Fudi tätschlet und allem aa no mängs mee
Nänei, ich ha vo allem nüt gwüsst!
D’Schwiiz isch nanig riif für d’Frau i de Regierig
Es isch die reinscht Schlammschlacht
Bis jetz isch’s doch immer guet ggange
Mir händ volls Vertoue, si hät’s doch guet gmacht.
Nänei, mir händ vo allem nüt gwüsst!
Nänei, mer händ nu es bitzli gwüsst
Nänei, mer händ nu
Hä ja!
Früener händs bim Gricht gsait:
Mitggange – mitghange
Si isch ggange... ungern zwaar
01.89
Links gehen, Gefahr sehen
Der Versuch in der „modernen Welt“ trotzdem seine politische Heimat zu finden und zu bewahren.
Es ist nicht ungewöhnlich, dass auch politisch Mitdenkende in der Jugend links starteten und am Ende
des Weges sich im Gedankengut von „Recht und Ordnung“ wiederfanden. Es bedarf deshalb einer regel-mässigen Überprüfung der eigenen Standpunkte, immer natürlich auch unter der Einsicht, dass Lebens-erfahrungen mit der Zeit auch eindeutig falsche Auffassungen mildern oder korrigieren können. „Links gehen, Gefahr sehen“ gilt definitiv ausschliesslich nur im Strassenverkehr; in der Politik führt es zu Feindbildern, die so nicht richtig sind. Nie waren.
Man scheut sich nicht von Demokraturen zu sprechen, wie wenn es keine klare Linie zwischen Demokratie und Diktatur gäbe. Demokratie wird damit leicht zum Spielball individueller, gerade im Moment aktueller Befindlichkeit.
Social medias prägen die Verbreitung von Wahrheiten, die vielmals nicht mal die halben sind. Einst bürg-ten Redaktoren für Kultur, Sprache und den klaren Blick auch auf komplexe Fragen. Selbst eingefleischte Sozis konnten die Leitartikel lesen ohne Schaden an der Seele zu nehmen. Und heute? Die Presse kämpft nicht mehr um die Gunst und Aufklärung der Leserschaft, sie lenkt deren Blick auf die Angebote jener,
die partout verkaufen wollen, was auch immer. Sie gehört Leuten, deren Interesse lediglich den Umsatz-zahlen und dem Verkaufswert gelten. Zwar hat der Chefredaktor noch das Recht, seine Meinung kund zu tun, um der Zeitung wenigstens ihren Platz zu sichern. Und manchmal dient die Redaktion lediglich dazu, mit vorgefassten Einweg-Meinungen an der eigenen politischen Karriere zu werkeln. Wie kommt also der aufgeklärte Bürger zu seinem Recht auf echte Meinungsbildung?
Corona. Obgleich „die sogenannte schweigende Mehrheit“ die getroffenen Massnahmen der Verantwor-tungsträger als vernünftig, manchmal gar gescheit beurteilt, findet sich eine satte Tausendschaft dage-gen auf der Strasse wieder. Dagegen protestierend, zuweilen mit abstrusen Argumenten, deren klare Gegenbeweise keinen Eingang in ihren Köpfen findet, finden darf oder kann. Das mit der Vernunft ist
eben so eine Sache.
Stellt sich die Frage: Gibt es ein Recht auf Ansteckung oder gibt es eine Pflicht des Staates die Mensch-heit vor dem Dümmsten zu bewahren? Soll deshalb der Staat bei der Durchsetzung auf einen Tränen-gaseinsatz verzichten und stattdessen die Personalien der Masken- und Impfverweigerer gründlich er-fassen, um allenfalls später in der Notfallaufnahme mit einem klaren „Sorry“ die Betten für Einsichtigere freizuhalten? Dieser Vorschlag könnte einer politischen Haltung entsprechen, die ich hier nicht benennen möchte und die auch nicht die meinige ist.
Lustig finde ich jedenfalls, dass einzelne Demonstranten nasse Tücher oder gar die eigene Gasmaske mitbringen, um bei einem allfälligen Polizeieinsatz entsprechend ausgerüstet zu sein. Maskenpflicht und Vermummungsverbot, na ja.
Minderheiten. Zu bester Haufrauen-Sendezeit beschäftigt sich der „bekennend homosexuelle Moderator aus dem Wallis“ mit den berechtigten Anliegen und Nöten von Mitmenschen aus der Transgender-Szene. Zugegeben, das Thema liegt mir nach wie vor etwas sehr fern, aber ich weiss jetzt, es gibt sie, vielleicht zu einem knappen Prozent schweizweit.
Ebenso fern, wie die Diskussionsrunde zum bedingungslosen Recht auf Nachwuchs. In unserer zweiten Heimat verlangt ein politischer Vorstoss, dass allen weiblichen Personen zwischen 18 und 43 (!) der Zugang zur künstlichen Befruchtung offenstehen muss. Allen, das heisst auch lesbischen Paaren und Alleinstehenden. Nachdem das Recht auf «Heirat für Alle» gesichert ist, darf der Schritt auf ein «Recht
auf Nachwuchs» nicht verwehrt sein. Alleinerziehende Mütter, eine der erkannten Armutsfallen. In der Folge haben alleinerziehende weibliche Personen auch das Recht, notfalls vom Arbeitsmarkt geradewegs in den Sozialanspruch verschoben werden zu können. Einfach so, denn in diesem Fall gibt es nicht mal einen Zahlvater. Ausser Vater Staat und der sind wir alle, das heisst Frauen wie Männer, gebär- wie zeugungsunfähige eingeschlossen.
BLM: Nicht, dass die Demonstrationen der farbigen Mitmenschen in Amerika uns nicht beträfen. Sehr schnell gleiten auch wir ab in bekannte Sprüche: „Da bisch dänn de Neger“ gilt im Volksmund dafür,
wenn etwas arg daneben geht. Und ausgerechnet jener, der in der Gastronomie die Drecksarbeit erle-digte, wurde schon immer als „Bimbo“ bezeichnet. Dass wir aber als Gesamtheit für die Sünden des Sklavenhandels verantwortlich sein sollen, ist schon etwas gar stark. In den letzten weit zurück ausge-wiesenen Generationen unseres Stammes in der Gemeinde auf dem Pfannenstiel hat man sich redlich bemüht, sein Auskommen als Bauer und Handwerker zu bestreiten. Gut, möglicherweise hat der eine
oder andere ans Auswandern gedacht. Aus purer Not.
Trotzdem, eine satte Anzahl von Linkslinken und Mitläufern hat die Gelegenheit zu Demos und Tumulten ergriffen. Multikulti in schweizerischen Gassen. Wobei die Rechtsrechten auf der anderen Strassenseite standen.
Zurzeit werden die Auftritte des französischen Innenministers permanent von den lautstarken Aktionen der radikalen Feministinnen begleitet. Nachwehen einer #MeToo-Anklage, die wegen Unglaubwürdigkeit der Klägerin von zwei Gerichten abgewiesen wurden. Sie erwarb zur fraglichen Zeit ihr Aus- und Ein-kommen als Call Girl. Ein Mädchen mit schlechtem Ruf ist ganz etwas anderes.
Manchmal verirrt sich der Individualismus in beachtenswerte politische Aussagen, zum Beispiel die einer engagierten Umweltberaterin der Stadt Paris: „Ich habe keinen Ehemann, werde demnach nicht verge-waltigt, noch getötet, noch verprügelt“.
Dass Henri, Ernest, aber auch Claire und Béatrice und ich selbst, alles Normalos, leicht verunsichert nach ordnendem Recht fragen, ist vielleicht verständlich, nicht? Oder einfach nur die Folge von verklemmten Moralvorstellungen oder altersbedingter Verständnislosigkeit?
Bürgerinnen und Bürger, die nach wie vor an die Rechtsstaatlichkeit glauben, die sich weigern Adam und Eva als einziger Ursprung der Menschheit zu lehren, die ausgewiesene Wahrheiten weiterhin anerkennen wollen, die nicht bereits sind, sich der „Tyrannei“ der Ränder und Minderheiten zu beugen, werden ver-unglimpft, beleidigt, angeklagt. Und politisch nach rechts abgedrängt. Bürgerinnen und Bürger, die bis an-hin eigentlich wussten, wem sie vertrauten, wer für ihre ganz persönliche Haltung stand, wählen plötzlich die Trumps, die Orbans und jene, die immer noch hinter dem nächsten Hügel Morgarten und Sempach vermuten.
Wie gesagt, es ist nicht einfach, zumindest unbequem, manchmal sogar gefährlich, seine eigene Meinung zu bewahren.
jtw 08/2020
Live-Manager
Bis jetzt habe ich mich standhaft den social medias verweigert. Allerdings sind imer mehr wichtige Informationen nur noch greifbar über diese Kanäle: Amtliche, offizielle und leider
auch Öffnungszeiten inklusive Speisekarten. Bref, ich habe mich ergeben.
Erstens
die Wahl der App; letztlich man geht eben dort hin, wo die meisten sind. Facebook. Bereits beim Aus-füllen der Anmeldung beginnen erste Fragen. Der Vorname: Tommy ist besetzt von der Jugendzeit; von jenen, die mich noch so rufen, weiss ich: Wir kennen uns schon sehr sehr lange. Eigentlich steht im Pass Hans Thomas und deshalb stand auf jedem Schulheft, auf mei-nem Personaldossier und selbst auf dem Fahrausweis lediglich mein gerufener Name Thomas. Ausser auf der Carte Vitale, der Schlüssel zu allen medizinischen Diensten in Frankreich. Da steht schlicht Hans; en France gilt ausschliesslich der erste Vorname, wenn kein Strich ver-bindet. Eltern sollten beim Taufen vorausdenken. Jean Thomas ist als Schreibender besetzt, bleibt also nur noch John, Vaters Spitzname, in dessen wenigstens berufliche Nachfolge ich getreten war. Und um wiederum ein bisschen Abstand zur Erreichbarkeit zu gewinnen.
Tätigkeit:
Mich selbst empfinde ich immer noch aktiv. Nach der ersten Pensionierung vergingen nochmal eineinhalb Dezennien, bis ich vom Berufsleben Abschied nehmen konnte. Zum Privatier reicht das bisschen Ersparte nicht und Rentner umschreibt nicht wirklich meinen Tagesablauf, obgleich von daher weitgehendst unser Einkommen bestritten wird. Man sieht, bereits die Frage nach Tätigkeit und Arbeitsplatz fordert Kopf-arbeit. Was bleibt eigentlich, wenn man in Richtung Ende Dritte Lebensphase geht? Das Unternehmen,
für das man die Tagesgeschäfte managte, hat sich bis zur Unkenntlichkeit verändert, die Galerie ist ge-schlossen, andere Dienstleistungen nicht gefragt, man ist auf sich selbst zurückgeworfen, man managt nur noch sein Leben, man ist sein eigener Manager im Unternehmen, das aus meiner Frau seit 53 Jahren und mir besteht. Beruf? Live-Manager bei WCG Weber Consulting Group. Der ebenfalls gefragte Arbeitsplatz wie für viele andere im Home-Office.
Der strukturierte Tag
Schliesslich hat man den über lange Zeit nur mit der Agenda bestreiten können. Jedenfalls meinte man. Heute, Treffpunkt um etwa acht Uhr; man nimmt es auch nicht mehr so genau. Bei gemeinsamem Kaffee, zumeist nicht der erste. Gipfelgespräche nur an Sonntagen, weil der Chocolatier das entsprechende Ge-bäck lediglich an Feiertagen anbieten darf. Wichtige Tagesthemen wie Einkaufen, «Wer-muss-was», oder «Wer-darf-Kochen», usw. werden abgesprochen. Auch je nach Saison; im Sommer hat Margrit ihren Gar-ten; ich darf fünf bis sechsmal in die Küche. Die Nachmittage bei Schönwetter gehen gut vorbei, bei Re-gen und Kälte bleibt zumeist nur noch Lesen und Schreiben.
Wichtige Termine
Zumeist ist die Wochenplanung durch den «Ausmarsch» unterbrochen. Einst waren mein Nachbar und ich Mitglied einer Wandergruppe. Dessen Führer ist ein durchtrainierter «jeune retraité» der etwas andere Ansprüche hat. Seine Wanderungen führen im zügigen Tempo über satte 15 km an keiner Steigung vorbei; für einen ehemaliger Infanteristen aus dem Zürcher Oberland gerade noch machbar. Aber, obgleich ich bis anhin das nordische «Laufen am Stock» als Vorstufe des Rollators veral-berte, kaufte auch ich bei Decatlon ein Paar derartige Dinger. Und die Vorbildstellung als noch fitter Doyen der Gruppe behagte mir nicht, wer ist schon gerne der Älteste, wenn alle auf jung machen? Seit bald zwei Jahren haben sich Alain und ich abgesetzt, um uns bei angemessenem Tempo über acht bis maximal zwölf Kilometer zu bewegen, in einem Rhythmus, der auch mal das Stillhalten und Betrachten des blühenden Majorans oder einer der vielen romanischen Kirchen erlaubt. In der Zwischenzeit ist eine kleine Gruppe entstanden, die wechselweise ausmarschiert; in unserem Alter muss eben auch mal die eine oder der andere wegen wirklich wichtigeren Dingen pausieren.
Andere besondere Termine sind selten geworden und zumeist in Verbindung anstehender Re-paraturen am Haus, am Fahrzeug und an sich selbst.
Bénévole
Nach Jahren des Mitwirkens im Gewerbeverein, im Tourisme und in einer departementalen Vereinigung, lade ich heute nur noch zum monatlichen Stammtisch ein, französisch table des habitués franco-alle-mande. Ein Treffen in wechselnden Lokalen in Tournus, eine kleine Gruppe von Französinnen und Fran-zosen, die Deutsch unterrichteten, im deutschen Sprachraum verweilten oder arbeiteten, zusammen mit Leuten mit deutscher Muttersprache. Man spricht grundsätzlich Deutsch über verschiedene Themen, ausser Politik, hilft sich gegenseitig aus und fällt zuweilen auch ins Französische zurück. Und auch mal in Dialekte.
Wie immer gilt es zusammen zu führen und zu organisieren; keine ausgeprägt französische Kompetenz. Und deshalb ist mein Vorausgehen nach wie vor Gewohnheit, hoffentlich nicht eine Manie…
Und:
Manager haben auch mal Sonntag, wenigsten die meisten. Und so werden die Sonntage immer ein biss-chen langweilige Tage. Gut, wohnt man auf familiärer Distanz, ist der Sonntag der Besuchstag. Jedenfalls treffen sich die französischen Familien dauernd bei irgendwelchen Angehörigen. Etwas das wir natürlich etwas vermissen. Früher luden wir regelmässig ein, im Winter monatlich zur Sonntagmittagstafel. Heute ist das mit Corona beinahe unmöglich geworden; aber schon vorher hat sich der Freunde Schar aus-gedünnt. Sie sind zurückgewandert, getrauen sich nicht mehr so weit oder dürfen gar nicht mehr fahren, sind verloren gegangen, gestorben. Einst waren wir die Jungen. Das tönt jetzt ein bisschen triste. Aber das kann man ja wohl ebenfalls managen, nicht!?
Fazit
Aus diesem Anlass bin ich also auch ein Mitglied der facebook-Gemeinde geworden, vielleicht einsichtiger, aber mit wenig Begeisterung: John Thomas Weber und trotzdem nicht umgehend erreichbar. Es reichte, wenn ich dieses Jahr schon ein Portable, für Aussenstehende ein rich-tiges Handy kaufen musste. Aber Manager sind heutzutage eben vernetzt, auch Live-Manager.
Dez. 2021
PS: Zugegeben, ist das Covid-Zertifikat auf dem «Samsung» schon noch etwas Praktisches…
Männer kochen
Am letzten Klassentreffen war da noch die Frage nach der Mitarbeit der Herren im Haushalt; schliesslich ist nicht nur Monsieur pensioniert, auch Madame bezieht Rente. Wenigstens in den meisten Fällen. Al-lerdings scheinen die Geburtsjahrgänge aus dem zweiten Weltkrieg noch gut in der Tradition verankert zu sein. Aber die Zeit ist nicht nur vorübergegangen, ein paar wesentliche Fortschritte dürften auch dem Büro für Gleichstellungsfragen nicht entgangen sein. Immerhin haben die Herren mittlerweile auch die Funktionalität des Staubsaugers verinnerlicht und kennen sogar die meisten nicht maschinellen Haus-haltgeräte. Und sie dürfen beim Einkauf nicht nur das Wägeli schieben, sondern ab und zu auch eigene Wünsche hineinschmuggeln. Kurz, wir alle sind auf dem besten Weg.
Ebenso nicht entgangen ist, dass bereits viele der Männer die Königsdisziplin des Haushaltes in Anspruch nehmen; ihre Präsenz in der Küche ist nicht mehr zu übersehen. Bemüht sich die tüchtige Hausfrau, täg-lich etwas Leckeres auf den Tisch zu bringen, wagt sich Monsieur an Gerichte, die ausserhalb der übli-chen Hausmannskost liegen. Dabei kocht er Dinge, die Madame nie riskiert hätte. Weiss die doch genau, dass ein unübliches Gericht durchaus weder die Zustimmung noch den Gusto des Hausherrn treffen kann. Man kennt ja seine Pappenheimer, nicht? Wohl deshalb halten sich viele Frauen an Rezepte von Muttern oder wenigstens von Betty Bossi; Gerichte mit Geling-Garantie, quasi.
Was vor mehr als drei Dezennien noch misstrauisch betrachtet wurde, ist heute bereits Geschichte: Män-nerkochklubs. Da treffen sich einmal im Monat mehrheitlich reifere Herren in Schul- oder anderen freien Küchen zum geselligen Abend, um gemeinsam mindestens einen Dreieinhalb-Gänger zu kreieren: Aperitif, Vorspeise, Hauptgang und Dessert. Vorbereitet und geleitet vom jeweiligen Küchenchef. Inklusive ab-schliessender Beurteilung, die manchmal auch unter dem Eindruck der grosszügig begleitenden Getränke stehen kann. Wenigstens einmal im Jahr, vorzugsweise am Muttertag, werden die Damen eingeladen; vorgängig weist der Tageschef darauf hin, etwas gesittet zu konsumieren. Begleitet wurde damals diese ausschliessliche Männerdomäne in seiner eigenen Kochzeitung „Marmit“. Später nahmen ein paar Frauen die Idee auf und gründeten die „Gastrosophinnen“, was manchem der Herren sehr in den falschen Hals geriet.
In der Zwischenzeit hat sich ohnehin einiges geändert. Wird man heutzutage bei jüngeren Leuten ein-geladen, ist es der Hausherr, der sich um die Kreation des Menus kümmert. Madame unterhält die Gäste und Monsieur produziert zumeist Aufwändiges und vielmals Anspruchsvolles. Das ist dann durchaus nichts aus dem Band „Das fleissige Hausmütterchen“, vielmehr werden da exotisch angehauchte Tellerchen und Teller serviert, entnommen aus prominenten Kochbüchern oder von Reisen heimgebracht. Die Dame des Hauses findet es schick, diese Domäne dem Partner zu überlassen, vielleicht hat aber die mühselige Pla-ckerei einfach keinen Zugang in das Leben der karrierebewussten Frau gefunden. Zumindest das Aufräu-men am späten Abend findet manchmal seine Gemeinsamkeit wieder. Aber auch Männer hinterlassen die Küche nicht mehr im Chaos, sie putzen zuweilen geradezu mit pingeliger Aufmerksamkeit.
Zugegeben, ich habe auch lange Zeit den monatlichen Freitagabend im Kreis meiner Confrères geniessen dürfen; bis heute ist es immer noch meine kleine Leidenschaft, die Kochschürze anzuziehen. Eine der ver-bleibenden kreativen Möglichkeiten für Männer im fortschreitenden Alter, ausser man ist als Künstler ge-boren. Weiter muss ich gestehen, dass ich ausserordentlich Mühe habe, nach Rezept zu kochen. Immer wieder schleicht sich eine Erweiterung oder Neugestaltung ein, der kreative Akt eben. Dass wir ab und zu auch gemeinsam für Gäste kochen, ist ein Zeichen gastronomischen Niveaus, das gemeinsame Aufräu-men ebenso.
Mit Männern kann man nicht reden
Man fühlt sich unverstanden, auf Äusserlichkeiten reduziert; Männer sind humorlos, konfliktunfähig und vergessen ständig, zurückzurufen, sagt Frau…
Männer reden vor allem über etwas und wesentlich weniger über jemanden. Männergespräch ist weniger Monolog, vielmehr dienen die Gespräche zur gegenseitigen Unterhaltung, als Markierungen im Männer-kreis. Derbe Sprüche kein Problem, die unanständigsten Witze werden ja ohnehin von Frauen erzählt. Auch Blondinenwitze von Blondinen. Zugegeben, Männer können nur unter Männern über sich selbst la-chen. Bei Frauen, die uns auf den Arm nehmen, wirkt meistens die gute Erziehung von Muttern; gegen-über „Frau“ bleibt man zumeist höflich, auch wenn sie sich noch so danebenbenimmt.
Nur Frauen wissen immer noch nicht, dass Männer sehr verletzlich sind. Männer leiden wesentlich mehr unter den Verletzungen, die ihnen beigefügt werden, weil sie wegen der von Mami anerzogenen Beiss-hemmung sich nicht im ihnen zustehenden Mass wehren dürfen und können. Den logischen Argumenten der Männer stehen Tränen, Wutausbrüche und Vorwürfe wegen der „verschenkten besten Jahre“ oder weiss Gott was gegenüber.
Richtig ist, dass Männer sich von Äusserlichkeiten leicht beeinflussen lassen. Wer stellt denn täglich mit sämtlichen Reizen die Aufmerksamkeit der Männer auf die Probe? Wer kennt nicht die Vorwürfe, wenn
die kleinste Veränderung nach dem Coiffeurbesuch nicht gebührend beachtet wird? Warum können Män-ner nach einem Streit arbeiten gehen, einfach so? Nichts leichter als das: sie müssen arbeiten gehen, in jedem Fall und sie müssen dabei erst noch erfolgreich sein.
Im Übrigen gibt es noch wesentlich wichtigere Dinge, als endlos über irgendwelche Nichtigkeiten zu strei-ten, die der Vollmond und/oder die Monatsregel auslöste. Und zu guter Letzt: Männer rufen durchaus zum versprochenen Zeitpunkt an; genau dann nämlich, wenn die Agenda dies neben anderen ach so wichtigen Dingen anzeigt. Männer sind keine Rätsel, aber sie sind es wert, liebevoll behandelt zu werden. Vielleicht braucht man morgen schon wieder ihren von Muttern anerzogenen Beschützertick. Sagt Mann...
Mit Noldi Schwarzenegger per Du
Triumpf strahlt aus ihren Augen, wenn sie mir aus den Hochglanzprospekten entgegensehen. Links das „Vorher“ mit runden hängenden Schultern, schlotterndem Hemd und langem Gesicht. Rechts das „Nach-her“, strotzend vor Lebenskraft, Mundwinkel nach oben, total happy. Zwar mit zerrissenem Hemd im Rücken und über den Oberarmen, aber jetzt mit Brustumfang hundertvierzig, schwellenden Brustmus-keln, dass selbst gut gepolsterte Damen vor Neid erblassen. Der Bizeps stärker als mein Oberschenkel und der Trapezius (!) droht den immer kleiner werdenden Kopf förmlich in der Muskelmasse zu ver-schlucken.
Seit ich mit meinen zahlreichen Lenzen doch einige Mühe bei der Weiblichkeit bekunde, stehe ich schon vor der Frage, etwas gegen den Schlappi, mehr in Richtung Noldi zu tun. Bei uns im Dorf ist auch so ein Zentrum entstanden: Hier werden Figuren gebaut. Ja richtig gebaut. Jeder Muskel, jedes Müskeli wird getrimmt, gestählt, trainiert, um dereinst dann die fettglänzende Pracht tragen zu können. Kommerzielle Body Builders treiben dich von Folter- zu Foltermaschine, emsig darauf bedacht, dass nichts, aber auch gar nichts ausgelassen wird. Gut, wenigstens zweimal die Woche für drei, vier Stunden reichen, um die Toppfigur zu halten. Aber um den „wirklich schönen Körper“ eines Arnold Schwarzeneggers zu erreichen, muss man halt doch mindestens zwei Stunden täglich… Dazu kommt noch die Kraftessenz aus der Büch-se, anstelle von fettbildendem Essen, wahre Eiweissbomben, ohne die eine derartige Muskelproduktion schlichtweg nicht möglich ist. Zugegeben, etwas sehr teuer; aber ein glückliches Leben fordert seine Opfer.
Zwar funktioniert die Verdauung nicht her so richtig, man ist etwas vergesslicher geworden und weiss auch nicht mehr so recht, wieso all die hübschen Weibchen sich wegen einem umdrehen. Aber wenn man vor dem grossen Spiegel steht, sich dreht, die Wahrheit über jeden Muskel kennt, angespannt bis zur Schmerzgrenze und doch glücklich lächelt… Ein echt erfülltes Leben, sportlich gestählt und erfolgreich, überall bewundert und beliebt!
So, und jetzt binde ich die Küchenschürze um. Ein herrliches Stück Fleisch wartet in der Mariande, bis es gewürzt, geklopft, gespickt und gefüllt wird. Farbenpracht verbreitet das Gemüsebouquet und wohl-schmeckende Gerüche ziehen durch die Küche: „Lieber eine kaputte Figur als eine kranke Seele!“
«Mohrechopf»
So kurz vor den Sommerferien wogt eine Protestwelle durch schweizerische Orte, der «Mohr» ist definitiv als rassistisch erkannt. Ein echtes Anliegen, oder lediglich Aufspringen auf einen Zug, der aus der USA herüberschwappte, eine erneute Möglichkeit, seinen Frust oder seine Lust hinauszuschreien?
Grund ist auch eine schaumgeborene Köstlichkeit im Schokoladenmantel. Dass es einer immer noch wagt, Original-Mohrenköpfe zu produzieren ist provokant, aber anscheinend nach wie vor legal. Zumindest bei den Aargauern; das sind jene Miteidgenossen, bekannt als die Strassenrowdies mit den weissen Socken. Auch so ein Vorurteil. Jedenfalls hat die Familie Dubler einen Wurf gelandet, der sie zwang, diese süsse Verführung in Doppelschichten zu produzieren, um die vor der Fabrik Schlange stehende Kundschaft be-friedigen zu können. Der Rauswurf bei der Migros hätte keine bessere Werbung können. Es wird schwierig werden, diese Bezeichnung endlich loszuwerden; andere Namen wie Merveilleux oder Schokoküsse ent-sprechen einfach nicht dem Gefühl des Verbotenen. Wie nennt man eigentlich einen Mohrenkopf im weissem Schokoladenmantel?
Etliche schweizerische Bürgermeister werden sich etwas einfallen lassen müssen. In Zürich wird bereits das «Café zum Mohrenkopf» umgetauft; es soll ein skandinavisches Restaurant werden und zu dem passt schwarzes Kraushaar aber gar nicht. Trotzdem, das mittelalterliche Haus soll weiterhin Haus zum Mohren-tanz heissen. Ebenso ein Haus in St. Gallen, das Haus zum Mohrenkopf aus früheren Jahrhunderten. Dass bekannte Familien aus dieser Stadt über Verträge zum Sklavenhandel verfügten, ist ein tristes Kapitel, aber der in den vergangenen Tagen ergangene Vorwurf, wir alle seien an der Kolonisierung über dem Atlantik mitschuldig, empfinde ich als völlig daneben. Mein Urgrossvater bewohnte und werkte in einen mittleren Flarzteil mit Laufbrunnen vor dem Haus in Hinteregg und mein Grossvater in Uster hielt sich als Störmetzger, Kleinbauer und Hilfsarbeiter knapp über Wasser. Jene, die heute auf der Strasse bemalte Kartons schwenken und demonstrativ auf der Bahnhofstrasse auf die Knie gehen, blicken gewollt oder un-gewollt nicht über den eigenen Horizont hinweg. Tut mir leid, aber Ihr Horizont kann nicht über dem Schwarzen-Viertel in Minneapolis enden. Zurück in die Schweiz.
Derartige Hausbezeichnungen sind Relikte aus unserer Tradition. Es sind keine «schöne oder böse Mär-chen», es ist unsere Geschichte. Und diese Geschichte hat Denk- und Mahnmale hinterlassen. Gut und weniger gut geratene und falsch interpretierte; jedenfalls, Niederreissen ist keine Lösung, umtaufen auch nicht. Vielleicht sind es morgen die Tierschützer, die die Umbenennung der Zunfthäuser zum Rüden, zum Chämbel, zur Meisen fordern.
Vor bald vierzig Jahren entdeckten wir am Zusammenfluss von Saône und Doubs ein überaus gastliches Haus, das uns mit Spezialitäten aus der französischen Traditionsküche erfreute. Ein Fünfgänger sehr gut begleitet inklusive Übernachtung für ganze 301 francs français. Das «Hôtel des Trois Maures», zu den drei Mohren. Wer’s nicht glaubt, ich kann die Rechnung vorlegen. In Frankreich fallen diese Namen wesentlich weniger auf. Und die meisten Schwarzen sind keine «colored peoples». Sie sind französisch sprechende Africains die nichts mit den Amis zu tun haben.
Zahlreich sind die Sonnenbadestrände mit dem Namen «plage des maures und des maurettes». Von den Pyrenäen bis zu den Alpes maritimes gibt es ebenso zahlreiche Maurettes, als Vorname wie als Familien-name. Maurette ist eine beliebte Namensbildung, ein Spitzname, der eine Person mit einem braunge-brannten Teint als Moor bezeichnet. Und davon gibt es viele in Südfrankreich.
Manch einer wird mühsam den ach so beliebten Stick vom Heck seines Autos kratzen. Trägt doch seine präferierte Feriendestination Korsika den Mohrenkopf im Wappen. Der schwarze Mohrenkopf mit dem weißen Band im krausem Haar ist in Korsika allgegenwärtig. Die Herkunft dieses ungewöhnlichen korsi-schen Freiheitssymbols ist umstritten. Eine glaubhafte Erklärung gibt es aus dem 15. Jahrhundert: Unter Aragons Flagge kämpfte ein Korse - Vincentellu d‘Istria, der spätere Erbauer der Zitadelle von Corte - gegen die Genueser, die seine Heimat besetzt hatten. Auf der Fahne Aragons sind vier um ein Kreuz ver-teilte Maurenköpfe abgebildet. Sie stammt wohl aus der Zeit der Kreuzzüge, als die Spanier die Mauren besiegt hatten. Die Bezeichnung "Mauren" oder "Sarazenen" galt undifferenziert für alle Dunkelhäutige. Vincentellu, der nach vorübergehenden militärischen Erfolgen Vizekönig auf Korsika war, ehe er von den Genuesen hingerichtet wurde, soll den Korsen den Maurenkopf - sozusagen die abgespeckte Version der Aragonesischen Fahne - als Symbol ihres Freiheitskampfes gebracht haben.
In bald zwei Monaten werden sie wieder zurückkehren, nach tagelangem eincremen und wenden, unge-achtet der Warnungen des Hauskrebses, ein Teint, der geballte Lebenslust ausdrückt. «Brunprännt wie-nen-Neger». Das ist zwar nicht korrekt, dafür aber Zürichdeutsch.
06.20
Newspeak
Novlangue in Französisch. Man streitet sich noch über das Geschlecht, aber eigentlich ist es klar, la lan-gue ist nun mal feminin und schön, wieder einmal ein Hauptwort, das in beiden Sprachen, die mein Le-ben begleiten, weiblich ist. Aber zum Thema: Das Virus sächlich, le virus hingegen männlich hat unser tägliches Verhalten neu geprägt.
Wir leben in einem Land, in dem in der Dorfgemeinschaft alle, vom Schulkind bis zum Mamie die Backe hinhält. On fait bise. Dann kam Corona. Kaum vorstellbar, aber mit COVID-19 wurde das Küssen abge-schafft. Zugegeben, uns Zugereisten war es nicht so absolut unangenehm, nicht mehr alle Welt küssen
zu müssen. Aber auch verständlich. Wer zieht nicht die achtzehnjährige Teenie-Wange einer altersge-gerbten vor, zumal gleich daneben ein nach Gauloise riechender Schnurrbart wuchert? Man winkt sich zu, auf echt europäisch genormte Distanz, das heisst auf ein, eineinhalb oder zwei Meter Abstand, je nach dem. Empfohlene sichtbare und unsichtbare Barrieren regeln unser Zusammenleben. Monsieur le con-seiller fédéral, der welsche Bundesrat Alain Berset spricht da von «social distance» in der fünften Amts-sprache der Schweiz. Dass ein so sprachgewandtes Land ausserhalb Europa steht, na ja.
Das Berufsleben im Home office ist nun um eine neue Alternative organisiert: «distanziert-präsent». Al-
les geschieht aus der Ferne, im Gegensatz zu dem, was physisch geschieht. Neue Technologien haben einen Grossteil unseres Lebens entmaterialisiert. Schon vor COVID-19 haben wir immer mehr durch die Medien agiert. Selbst im liebevollen und familiären Leben. Es geht auch per WhatsApp. Und nach wie vor «Aug-in-Auge», aber jetzt am Bildschirm auf ein virtuelles Treffen für zwei und mehr Personen. Zumin-dest reduziert dies das Risiko des Austauschs von Berührungen oder gar Schlägen im Falle eines allzu stürmischen Gesprächs. Die gesundheitlichen Zwänge, die Angst sind so präsent, dass die Entsagung tendenziell zur Norm und die physische Präsenz zur Ausnahme wird. Es ist eine Form des Hausarrests.
Die Welt scheint so nah und so fern zugleich. Für immer?
Was wird aus unserer Beziehung zur Realität? Mit den neuen Telekonferenzen multiplizieren wir die Mög-lichkeiten, auszuweichen. Wir müssen unsere Worte und Argumente nicht mehr physisch akzentuieren, wir können jederzeit die Kamera ausschalten, weitere Verantwortung ohne Konsequenzen ablehnen. Der Handschlag als Einverständnis oder als Geste der Versöhnung fällt definitiv dahin. Die "Grausamkeit der Realität", will sie nicht sehen. Sie erfand eine «Novlangue», eine «Neusprache» um die Unvollkommen-heiten unserer Welt zu verschleiern. Eine Art Barrieren-Sprache, die uns vor Ärger schützt.
Trotzdem, der Triumph der "Entsagung" machte zu Beginn durchaus Sinn. Die Bevölkerung hat sich schnell an staatliche Anordnungen angesichts der Gefahr gewöhnt. "Bleiben Sie zu Hause!" Schlicht, wir sollten uns vom Leben fernhalten. Aber draussen ist bereits Frühsommer. Also Maske auf und wo auch immer an die hydro-alkoholische Pumpe. Aber auf alle Fälle nur distanziertes Winken, ja? «Restez à la maison» wurde durch «Restez prudent» ersetzt. Möglicherweise ein Zeichen der Hoffnung.
06.20
November
Pünktlich zu Beginn des Nebelmonats fallen die Einen in tiefste gedrückte Stimmungen, andere fiebern dem 11.11., dem 1. Narrentag entgegen und die Jäger feiern ihren Schutzheiligen Hubertus mit viel Jä-gerlatein und Kräuterlikör.
Für uns hat der Novemberbeginn seine besondere Bedeutung: Am 3. November 1991 erwarben wir unser erstes Heim im Burgund. Ein Traum aus goldenen Kalksteinen, bei dem man nur an einer Ecke nicht ins Freie sehen konnte, weil da noch ein Turm angebaut war, oder wie es die Wirtin in Bonnay wenig char-mant ausdrückte, „ce n’est pas une maison, c’est une ruine“. Spontan war ich zu tiefst beleidigt. Immer-hin hatte dieser Steinhaufen einen Namen, „Le Montagnon“. Zusammen mit den Handwerkern bauten wir die ehemalige Weinpresse und Teil der Aussenbefestigung des Châteaus mit viel Ideen, ebenso viel Öko-logie und noch mehr Angespartem zu einem Bijou um, das der zu Beginn stark zweifelnde Maurer Roland nach der Fertigstellung stolz zukünftigen Kunden präsentieren wollte.
Damalige Kollegen stellten verständlicherweise Fragen; was will der denn mit sowas im jugendlichen Alter von achtundvierzig. „Vorbereitung auf die 3. Lebensphase“ als Antwort liess einige Zweifel zu. Zwölf Jahre später, mit Blick auf mögliche Frührenten, begriffen auch jene, die damals an meinem Geisteszustand zweifelten, dass noch etliche Jahre auf neue Inhalte warteten.
Für uns, besser für mich, war in der Zwischenzeit das Montagnon zu klein geworden, die steinerne Wen-deltreppe aus dem Abbruch in Cluny nicht mehr altersgerecht, die Idee gereift, die Arbeitslebenszeit elegant abzukürzen. Ein anderes Haus im mittelalterlichen Kern des Städtchens Saint Gengoux le Natio-nal hatte in der Zwischenzeit weitere Ferien und ebenso Kapital aufgefressen. Das Haus getauft auf den Namen „Espérance“ ist zwischen der rue de l’Espérance, der Hoffnungsgasse und der rue des Chapeliers, der Hutmachergasse eingeklemmt. Eine Baute aus dem späten 15. Jahrhundert.
Eine Neudefinition der Renten drohte, es galt, zu rechnen und Entscheidungen zu treffen. Im Oktober feierten wir zusammen mit Kunden, Personal und Freunden die Übergabe an einen jungen, hochge-schulten Nachfolger. Es war zugleich mein Sechzigster, was im Jubel schlicht unterging. Wenige Tage später wurden die Habseligkeiten verladen, denn am 3. November 2003 war die letzte Bauphase ange-sagt, der finale Einbau der Küche im Stadthaus.
Sieben Jahre später, just anfangs November fand ich mich, diesmal als main-d’oeuvre des nach wie vor demselben Maurer, jetzt ebenfalls pensioniert, auf der Baustelle der Moulin de Chigy wieder, während meine Margrit die Renovation der Innenräume anpackte. Einmal mehr waren wir in einen Hauskauf hin-eingeschlittert, der uns viel abverlangte. In jeder Hinsicht.
Heute ist der 3. November, einmal mehr. Dazwischen sind satte 26 Jahre vergangen. Beschlossen ist,
ab nun kürzer zu treten. Allerdings nehmen uns neue Pläne wieder in Anspruch. Noch gibt’s kein Ende. Keine Depressionen, keine Narrentage und keinen Hubertus, versprochen!
Nachschlag:
Nach einem langen, sehr heissen Sommer und einem warmen trockenen Herbst sind wir am ersten Regentag, am 1. November 2018 an eine neue Adresse, 5 Clos de Tanneries, in ein altersgerechteres Haus gezogen.
Potage Garbure
Présenté par M. le directeur de l'hôpital à la réunion hebdomadaire des médecins de la Polyclinique
Tout d’abord, je sais bien, les ravitaillements dans les institutions hospita-lières sont un point faible, pas seulement en France. J’ai eu la chance de venir être opéré par un spécialiste jeune et vraiment persuasif, naturelle-ment toujours de mon avis. Il m’a envoyé sur le chemin de guérison d’une façon très motivante.
Après des jours de carême rigides on a débuté avec de la nourriture légè-re. C’est raisonnable et néces-saire. Alors : Le samedi à midi du potage, un yaghourt nature et un petit bol de compote de pommes. Le soir du potage, un yaghourt nature et un petit bol de compote de pommes. Le dimanche du potage, un yaghourt nature, un petit bol de compote de pommes et une petite portion des pâtes mollettes. Le soir
du potage, un yaghourt nature, un petit bol de compote de pommes et une petite portion de féculent, cette fois du riz mollet. Les pâtes vinrent à manquer, je pense. Le potage se présentait déjà très, très faible. Heureusement j’ai toujours une petite dosette d’aromate avec ; une vieille habitude d’un homme bien voyagé.
Ce potage. Tout jeune, j’ai eu la chance à servir chaque jour une autre sorte de potages à notre clientèle dans l’auberge de jeunesse. Le chef de cette époque m’a bien guidé et chez lui j’ai appris, quand toutes les sou-pes sont passées, on met les restes ensemble et on produit un « Potage Garbure ». Hélas, après 50 ans j’ai retrouvé cette fameuse soupe, pas la recette originaire, trop fine. Au début c’était pas mal, mais quatre fois en suite, pur et dur, ce n’est pas très imaginatif, sans amour et surtout pas très profes-sionnel. On dit, « le patient est en bonne santé plus vite s’il est nourrit tendrement ». Il ne faut pas de luxe, pas des gourmandises, ce n’est pas l’hôtellerie distingué ! Mais il faut vraiment un peu plus d’enga-gement et créativité au ravitaillement dans les hôpitaux.
« On ne peut pas être un bon cuisinier si on n’aime pas les gens » dit un chef français bien connu.
Le corps médicale s'amusait délicieusement...La copie de cette lettre se retrouve dans mon dossier du chirurgien
Und die deutsche Version:
Potage Garbure
Offener Brief verlesen vom Direktor der Klinik an der montäglichen Ärztesitzung.
Ganz zuerst: ich weiss sehr gut, dass die Verpflegung in den Spitälern ein etwas sensibles Thema ist, nicht nur in Frankreich. Ich hatte die Chance, von einem jungen und überzeugenden Spezialisten operiert zu werden; natürlich immer aus meiner Sicht. Und anschliessend schickte er mich auf motivierende Art auf den Weg zu Genesung.
Nach rigiden Fastentagen begann es mit leichter Kost. Das ist vernünftig und nötig. Also: Zum sams-täglichen Mittagessen eine Suppe, ein Joghurt natür und ein Schälchen Apfelmus. Am Abend eine Suppe, ein Joghurt natür und ein Schälchen Apfelmus. Das sonntägliche Mittagessen bestand aus einer Suppe, einem Joghurt natür, einem Schälchen Apfelmus und einer kleinen Portion verkochter Teigwaren und am Abend gab es nota eine Suppe, ein Joghurt natür, ein Schälchen Apfelmus und eine kleine Portion ver-kochter Reis. Anscheinend waren die Teigwaren ausgegangen. Die Suppe präsentierte sich fade, bar et-welcher Würze. Immer ein Döschen Aromat im Gepäck dabei; rät der vielgereiste Mann.
Zu dieser Suppe: In meiner jugendlichen Zeit durfte ich in der Jugendherberge unserer Kundschaft
täglich eine andere Suppe reichen. Der Chef jener Zeit hatte mich gut eingeführt und mir beigebracht, wenn alle Suppen durch sind, nimmt man die Reste zusammen und produziert eine «Potage Garbure».
Bei Muttern hiess dies Restesuppe. Hurra, nach 50 Jahren bin ich wieder auf diese famose Suppe ge-stossen, zugegeben, nicht wirklich das Original, weil zu fein püriert. Zu Beginn war sie nicht schlecht,
aber viermal in der Folge, geradeaus gesagt, nicht sehr fantasievoll, mit wenig Liebe zubereitet und sicherlich nicht sehr professionell. Es heisst doch, der Patient genese viel eher bei liebevoller Ernährung. Es bedarf keinen Luxus, keine Leckereien, dies ist keine vornehme Hotellerie, es bräuchte eigentlich nur ein bisschen mehr Engagement und Kreativität in der Spitalverpflegung.
Ein bekannter französischer Chef sagt: «Liebt man die Menschen nicht, wird man nie ein guter Koch».
Die Ärzteschaft soll sich köstlich amüsiert haben. Jedenfalls ziert eine Kopie des Briefes mein Dossier beim Chirurgen.
Star Wars 2015
Keine schöne Weihnachtsgeschichte
Gerade zur rechten Zeit startet die amerikanische Filmindustrie. Nicht etwa wegen der vielen Sterne, die allerorts hängen, über dem Kirchplatz, an jedem Laternenpfahl, in den Strassenrondellen und selbst an den rosaroten Plastikweihnachtsbäumen. Das wäre ja noch verständlich, denn, „es weihnachtet sehr!“ Kalendergerecht.
Pünktlich zur Eröffnung der alljährlichen Einkaufsorgie in Paris erfolgte der Auftritt einer Hundertschaft von weissen Plastikestalten. Die traditionelle Überführung des Christbaumes für den Elysee per Schiff
aus dem burgundischen Morvan in die Hauptstadt ist gerade noch eine Fussnote wert. Es füllen sich die Gestelle der Spielwarenabteilungen mit weissen und schwarzen Robos, Kinder und, sagen wir mal, Noch-nichtganzerwachsene reissen sich um rote und blaue Lichtschwerter und um Cinemabillette, die Massen-hysterie erfasst alles und jedes und selbst auf der Wasserflasche aus der ich trinke steht „Star Wars, le Réveil de la force!“ 10% der französischen Haushalte werden auch dieses Jahr einen Konsumkredit er-betteln müssen, um dem mittleren Weihnachtsbudget von 390 euro entsprechen zu können, nota bene exklusive Fois gras, Austern, Chaperon und Champagner. Um letztlich das knappe Geld für Wertloses de-signed in Hollywood, made in China auszugeben. Kein Friede auf Erden und der Krieg findet am Himmel statt. Folge dem Stern, aber wohin denn?
Auch wenn lediglich noch 23% „des Français et Françaises“ ihren Staatspräsidenten lieben, er bleibt we-nigstens hier standhaft. Dafür macht sich der mächtigste Mann der Welt zum Idioten und tritt mit zwei weissen Robotern in die Pressekonferenz. Zugegeben, er und all die Kandidaten, die seinen Job kaufen möchten, haben es nicht besonders einfach. Die amerikanischen Siegerträume erlebt man schon seit Langem nur im Kino und jetzt definitiv im Weltall. Hienieden auf Erden ist die Wirklichkeit. Zur Erinne-rung: Korea, Vietnam, Afghanistan, Irak, Somalia, Syrien und ohne Ende und immer mit demselben Unverstand auf der falschen Seite. Immer!
Selbst mit digitalisierten Actions lässt sich keinen Krieg zu gewinnen. Und schon gar nicht einen Frieden. Und der findet nie im Kino statt.
Toilettenpapier
Dass in Zeiten drohender Katastrophen gehamstert wird, ist absolut normal. Dass in Hinblick auf den Corona-Virus ausgerechnet Toilettenpapier als erste Artikel aus dem Angebot verschwindet, ist doch erstaunlich.
Zwar waren wir nicht sonderlich beunruhigt, aber als in der Superette auf dem Gestell noch ein einziges 4er-Packet lag, von der teuersten Sorte vierlagig aus feinstem Zellstoff, eigentlich nur noblen oder be-sonders sensiblen Ani vorbehalten, klickte es auch bei mir. Also, die hässlichen Violetten mit stilisierten Blümchen waren ausgegangen; auch die Günstigsten, schmal, in verwaschenem Altrosa, schlecht per-foriert und vor allem nicht reissfest, waren ausverkauft. Was trieb die Leute ausgerechnet zu diesem Einkauf an? Für was benötigen die Franzosen plötzlich derart viel Toilettenpapier.
Dabei wohnen wir in einem Land, im dem der übliche Jahresbedarf im März gerademal um 30% über-schoss. Nur halb so viel wie die USA und die verwechselten damals den Virus noch mit dem Heuschnup-fen. Mit 140% des Jahresverbrauchs erhielt Italia die «goldene WC-Rolle», Campione del mondo, Welt-meister!
Jedenfalls drängte der kleine Vorrat in der Garage noch nicht zu einem überhasteten Einkauf. Trotzdem legten wir die ausgelesenen Zeitungen zur Seite. Eine spontane Idee, man weiss ja nie! Vor Jahren er-warben wir mit der Moulin de Chigy auch noch ein Relikt aus der guten alten Zeit. Ein kleines angebautes Kabäuschen, mit einem Brett versehen, das den Blick durch das gesägte Loch direkt in den Kanal führte. Absolut biologisch und praktisch, solange der Bach Wasser führte. Aber der Müller wusste schon, wann er das Kanalwehr in die Höhe ziehen musste. Und er hatte ein kleines Holzkistchen geschreinert mit den säuberlich zugeschnittenen Blättern der Tageszeitung «Le Progrès» zu Deutsch, der Fortschritt, Jahrgang 1938 an die Lokuswand genagelt. Übrigens, bei unserem Grossvater im Gschwader war es nicht viel an-ders; da führte ein genagelter Holzkanal direkt in den Schweinestall, der ohnehin etwas streng roch und das WC-Papier stammte vom «Anzeiger von Uster» oder vom «Grünen Heinrich», der Bauernzeitung. Zuhause war das WC-Papier bereits erfunden; trotzdem lag im Örtchen auch immer Lesebares auf, sicher immer der «Nebelspalter», zuweilen auch das Steuerregister der Gemeinde. Manchmal dauerten deshalb die Sitzungen etwas länger.
04.20
Die Treiber
Unter PC-Gewandten ist der Ausdruck selbstverständlich klar. Die Treiber werden installiert, auf dass der Drucker schön folgsam seine Arbeit aufnimmt. Natürlich habe ich zum Begriff Treiber noch andere Bezie-hungen. Treiber nennt man das Hilfspersonal bei der Treibjagd, das den Jägern das Wild vor die Flinte zu treiben hat, auf dass die Herren und wenigen Damen sich nicht allzu weit ins Gebüsch bemühen müssen. Nach dem „Abblasen“ werden die Treiber zum Umtrunk gebeten und die Jagdgesellschaft begibt sich zur weiss gedeckten Tafel.
Bei den Menschen waren es die Treiber, die die Neger – das darf man zwar wegen der political correct-ness auch nicht mehr sagen – zusammentrieben und nach Amerika verschifften. Spätestens nach dem Lesen von Karl May hat sich dann auch noch der Begriff Treibsand in meinem Gedächtnis eingegraben:
als täuschende sumpfartige Falle. Und letztlich habe ich bei Pepe auch noch den Treiberfäustel kennen gelernt. Damit werden die harten Steinplatten voneinander getrennt.
Da wären noch der Treibstoff und der Treibriemen für die Motoren, das Treibhaus für das schnellstmög-liche Wachstum der Pflänzchen, das Treibholz, das bei unbestimmter Fahrt irgendwo angeschwemmt
wird oder dem Abgrund entgegentreibt und die Treibladung; die habe ich im Militär kennen gelernt.
Bleiben wir beim Verb: wegtreiben vertreiben, zutreiben betreiben und endgültig abtreiben. Dann die ständig bohrende Frage der Boulevardpresse „Wer treibt’s mit wem?“ und nicht zuletzt ein Spruch von früher: Das werden wir dir schon noch austreiben! Wie komme ich auf dieses blödsinnige Thema?
Ach ja, kürzlich gelesen unter Führungsgrundsätze: Die Treiber des Geschäftes von "Stellen & Verkauf" sind die Stellen vor Ort.
Umverteilung der Spargelder
Im Zusammenspiel von Bürger und Staat entstehen beidseitige Ansprüche. Der Bürger hat Anspruch auf Unterstützung im Falle fehlenden Einkommens und Gewinne. Andrerseits ist es nur gerecht und selbst-verständlich, dass der Staat Anspruch auf Steuern hat bei Einkommen aus Arbeit, aber auch an Kapital-zinse.
Schon im Kindesalter habe ich gelernt: «Spare in der Zeit so hast Du in der Not». Und so habe ich mit dem Sparbüchlein die grosse Wiese gegenüber unserem Haus überquert, um beim Bankverwalter «Schnorchel» den Zins nachtragen zu lassen. Eigentlich hiess der Herr über die Ablage der Zürcher Kan-tonalbank anders, aber er war eben ein schwergewichtiger Mann mit grauem Quadratschädel, der bei der schwierigen Ausübung seines Amtes irgendwie lautstark ausser Atem geriet. Er malte mit schwarzer Spitzfeder den errechneten Zins unter das Kapital, gefolgt mit einem sauberen Lineal-Strich und Eintrag des neuen Vermögens in mein blaues Büchlein. Notabene bei einem Zinssatz, der noch vor Ablauf eines Vierteljahrhunderts rgendwie die Verdoppelung der deponierten Zwanzigernote versprach. Inzwischen
sind gegen sieben Dezennien vergangen und die kantonale Bank mit Staatsgarantie residiert in gross-zügigen Immobilien nur noch an ausgesuchten Orten. Irgendwann und noch vor der Verdoppelung mei-nes Kapitals habe ich die Geduld mit diesem Institut verloren und mein kleines Vermögen eingefordert. Mit handschriftlichem Eintrag in meinem Büchlein: Neuer Kontostand Null. Ordnung muss sein.
Irgendwann mit Umweg über verschiedene Stationen hat sich mein damals aktueller Arbeitgeber der Verwaltung meiner Finanzen angenommen und eröffnete Kontokorrent, Sparkonti in heimatlicher und Fremdwährung und anderes mehr. Praktischerweise, weil niemand mehr am Monatsende die Zahltags-Säcklein bereitstellen mochte, um im Laufe des Morgens währende der Arbeitszeit (!) abgeholt zu wer-den. Und um die Treue zum Unternehmen zu unterstreichen, versprach man den Mitarbeitenden einen leicht höheren Zins. Ein Zinssatz, der erlaubte, dass meine Eltern ein kleines Vermögen anhäufen konn-ten. Verwaltet und im Haushaltsbuch bis ins hohe Alter notiert von unserer Mutter, in deren Arbeitszeug-nis einst vermerkt war: Bilanzsicher!
In den vergangenen Jahren haben sich die Kontakte zwischen Bank und Kunde wesentlich verändert. Die persönliche Begegnung ist geradezu verpönt, bei Unsicherheiten oder allfälligen Fragen wende man sich an ständig wechselnde Berater, «Frau Tel-et-tel und ihr Team», wo man versuchen wird, im Rahmen von Austausch von Nachrichten, Chats genannt, derartiges zu beantworten.
Monatlich rapportiert der Computer den Stand meines aktuellen Vermögens, Zu- und Abgänge, inklusive Kosten, deren Grund ich eigentlich nicht verstehe. Als unsere mehrheitlich Kolleginnen noch mit Rech-nungsmaschine und Kontozettel die Beträge erfassten und in einer Tagesbilanz zusammenführten, habe ich verstanden: Da entstehen Leistungen die auch Unkosten generierten. Wohlverdiente Löhne, Arbeits-plätze, Maschinen und Materialien. Heute stehen da Anlagen, die mich zwar nicht persönlich kennen aber an meinem Profil erkennen und plus und minus elektronisch erfassen im System 1 oder 0, on oder off. Alles was wir als das Unseres bezeichnen, ist rein virtuell. Es gibt definitiv kein Kästchen im Unterge-schoss, angeschrieben mit unseren Namen, hinter dessen Türchen Bündelchen und Häufchen lagern.
Trotzdem bezahlen wir etwas wie eine Lagergebühr, schon mit dem rein virtuellen Aufbewahren ent-stehen Unkosten. Sagen sie.
Schon seit geraumer Zeit wurden den Kundinnen und Kunden mitgeteilt, wie teuer den Banken das Be-wirtschaften ihrer Gelder und nicht zuletzt von ersparten Kundengeldern zu stehen kommt. Im post scriptum findet man eine interessante Information dazu. Demnach bedaure ich sehr, wie hart die aktuelle Finanzsituation einen unserer wichtigsten Wirtschaftszweige trifft…
Nun hat uns unsere Hausbank eröffnet, dass Sie aufgrund des international aktuellen Tiefstandes der Zinse eine Guthabengebühr von 0,75% berechnen wird. Nicht nur, dass unser Vermögen keine Gewinne abwirft, nein, die Kunden sollen für das Aufbewahren von offensichtlich unerwünschtem Kapital bezahlen müssen. Gültig ab März, Erspartes kann noch bis Ende April kündigungsfrei abgehoben werden.
Der Eigner des Unternehmen, also mein ehemaliger Arbeitgeber, ist der schweizerische Staat. Es ist ver-pflichtet, gewinnorientiert zu arbeiten; ein wesentlicher Teil des Gewinnes muss budgetiert werden und fällt in die Staatskasse.
Die Schweizerische Nationalbank, ebenfalls ein Unternehmen des Bundes, ist der Kreditgeber diese Un-ternehmens. Aufgrund der Finanzmärkte vergibt die SNB Gelder zu teuren Konditionen, weil dieselbe ebenfalls unter dem aktuellen Tiefstand der internationalen Finanzmärkte leidet. Allerdings vermeldet die Schweizerische Nationalbank im Jahr 2019 einen Gewinn von 49 Milliarden. Ich zitiere aus der Presse:
Das Ergebnis der Schweizerischen Nationalbank (SNB) ist vor allem auf die gute Entwicklung der Kapital-, Devisen- und Goldmärkte im Jahr 2019 zurück zu führen. Die SNB profitierte unter anderem vom starken Wachstum der globalen Aktienmärkte und erzielte einen Gewinn von 40 Milliarden Franken auf den Devi-senwerten, während der Kursanstieg von Gold einen Kapitalgewinn von fast sieben Milliarden Franken bewirkte. 2 Milliarden wurde mit der Frankenwährung erwirtschaftet.
Das Geld, das mein ehemaliger Arbeitgeber zum Betrieb des Unternehmens benötigt, will, muss oder
soll er bei der Nationalbank ausleihen. Mit etwas Fantasie und gutem Willen könnte man eigentlich die gebunkerten Kundengelder nutzbringender einsetzen und sie mit entsprechend gestalteten Budgets be-wirtschaften. Sie müssen ja nicht gleich Gewinne abwerfen, vorerst. Aber dass über die Sparkapitalien
der Kundschaft quasi die Negativzinsen der Nationalbank finanziert werden, ist nicht nur unfair.
Die Idee ist nah, dass Kunden, die Geld auf die Seite legen, statt sie in den Konsum zu investieren, nicht belohnt sein sollen. Wer sich partout heraushalten will, soll bestraft werden. Nur Konsum, auch sinnloser, generiert anscheinend Gewinne.
Einst schrieb ich, «in Frankreich, meiner zweiten Heimat, ist der Kunde noch nicht erfunden». In meiner ersten Heimat wird der Kunde eben abgeschafft. Europäischen Verhältnisse, quasi. Nimmt mich wunder, was die vielbeschworene schweizerische Besonderheit eigentlich ausmacht.
PS: Der IWF wies die indirekten Subventionen an die Schweizer Grossbanken bereits für die Jahre 2011 und 2012 mit jährlich 25 Milliarden Dollar aus, was ungefähr 26,7 Milliarden Franken entsprach. Haupt-grund: Grossbanken können sich viele Milliarden zu tieferen Zinsen beschaffen als andere Marktteilneh-mer. Ihre Gläubiger und Investoren sind überzeugt, dass die Grossbanken nicht pleitegehen können, weil sie von einer impliziten Staatsgarantie profitieren. Dank diesem Vorteil können sich Grossbanken auf Kosten anderer Banken noch stärker ausbreiten.
Verluste
Einer der grössten Verluste, den wir in der aktuellen Zeit erleiden, ist der Verlust der Fragwürdigkeit.
Der Ausdruck hat sich gewandelt und ist heute negativ belegt. Fragwürdig ist höchstens, dass nichts mehr fragwürdig sein soll. Letztlich geht es aber darum, ob die gesellschaftliche Entwicklung überhaupt die Würde des Hinterfragens verdient. Weil Fragen erheischen schliesslich Antworten und die Zeit ist sehr kurz, bis der herzige und aufgeweckte Säugling zum lästigen „Frëgli“ wird. Erst viel später wird ihm wie-der beigebracht, dass intelligente Fragen Ausdruck von lebhaftem Interesse sind, und wenn es nur um den Verkauf der eigenen Persönlichkeit geht. Aber zurück zur gesellschaftlichen Entwicklung.
Die zügig voran getriebene Globalisierung nicht nur der Wirtschaft, sondern auch der Kultur, des politi-schen Denkens, der Sprache und Ausdrucksfähigkeit zeitigt den kollektiven Grössenwahn der absoluten Machbarkeit und damit sind Machenschaften nicht mehr weit entfernt. Jedes und alles ist erreichbar oder zumindest käuflich. Nicht mal mehr der Weg dazu entspricht klaren ethischen Ansprüchen. Die Ratlosig-keit gegenüber dieser Entwicklung ist offenkundig.
Der Verlust der Identität des Individuums geht soweit, dass der einzelne Mensch nur noch im Umfang der Masse wahrgenommen wird. Diese Normierung hat zur Folge, dass immer mehr Frauen und Männer, soll-ten sie auf irgendwelche Weise nicht mehr diesen Normen entsprechen, ausgeklammert werden. In der Norm verbleiben jene, die bereit sind, aus welchem Antrieb auch immer diese Entwicklung als Faktum zu akzeptieren. Sieger sind die Lauten, die Cleveren, jene, die am besten und elegantesten zwischen den berechtigten Ansprüchen und den Freiheiten der Mitmenschen durchlavieren. Loyalitäten aus Not, Über-zeugung oder Opportunismus, sind gefordert, die Zivilcourage wird schlicht zum Hindernis, wenn es um den Verbleib in der Leistungsgesellschaft geht. Letztlich führt dies zur scharfen Trennung zwischen Ar-beitswelt und Privatleben. Die Menschen arbeiten je länger desto weniger aus purer Lust für die gemein-samen Entwicklung und Zielerreichung; immer mehr gerät die Freizeit zur Therapie gegen die Entmensch-lichung der Arbeitsprozesse und gegen den Verlust der Heimat schlechthin. Das Resultat ist eine dauernde Ruhelosigkeit, vielmehr eine Flucht vor den Problemen, die einer Lösung harren. Bestens zu beobachten vor den Wildkatzenkäfigen im Zoo. Nur handelt es sich da schliesslich um seelenlose Kreaturen, oder etwa nicht? Der Tauschhandel, hart verdienter Arbeitslohn gegen lustvolle Freizeitgestaltung, floriert bestens. Neue Süchte, wie Hochleistungs- und Extremsport, feiern Urständ, der emotionale Kick gelingt nur noch, wenn man sich am Gummiseil aus immer höheren Höhen stürzt. Der letzte Garant, die Familie, ist gerade noch ein 60%-Wert, nicht zuletzt, weil jene, die sich so lustvoll von den Brücken stürzen, von verantwor-tungsbewussten Bindungen längst schon Abschied genommen haben. Wenn das Keuchen der Lungen die Stimme der Seele übertönt, verabschiedet sich diese, leise und unbemerkt. Wer mit seinem Körper immer wieder an die Grenzen geht, tut dies auch mit seinen Mitmenschen.
Wenden wir uns der Rückeroberung der Fragwürdigkeit zu, haben wir den Mut, diese Entwicklung grund-sätzlich in Frage zu stellen.
Vernunft
Der Preis der Vernunft ist der des Verlustes seiner Träume
Auf der Suche nach der Vernunft anhand der ungewöhnlichen Häuser, die uns durch das Leben begleite-ten. Es begann erstmal in Miete in einer ganz gewöhnlichen Blockwohnung, in der Folge das Leben im ersten Holzelementbauhaus aus dem Jahr 1937 am Greifensee, in der Jugendherberge am Wolfgangsee, im Schloss Schwandegg und in einem typischen Gasthaus im Riegelbau am Untersee.
In unserer Jugendzeit wurden die Rentengelder noch ausbezahlt, wenn man die Stelle wechselte. So kam
es, dass die kleine Summe, die mich zu einer neuen Laufbahn begleitete, in einem Häuschen im Malcan-tone angelegt wurde. Ehemals Ampelia’s Grotto, in der sie die Gäste betreute; verblieben bei ihrer Mutter, weil sie den Lockungen eines Deutschschweizers nicht folgen mochte. «Wotsch oder wotsch nüd?» So füllte sie ein Leben lang die tazzin’ mit Nostrano und sang mit der Bandella Lieder, romantische und trau-rige. Das Häuschen, Wirtsstube mit dem ewig rauchenden Kamin und ein Nebenraum, über dem Keller, in dem Guglielmoni’s Salame und Hundeschenkel reiften. Und unter dem Kreuzgewölbe das wassergespülte Örtchen. Zwar planten wir einen Umbau, aber irgendwie versickerte unser karger Lohn als Leiter einer Bündner Jugendherberge wie die Abwässer der Toilette. So lange die Kinder noch nicht eingeschult waren, verbrachten wir lange und herrliche Zeiten in den Zwischensaisons, die Abende zusammen mit Freunden, Aussteiger aus der Deutschschweiz, Lebenskünstler, Gelegenheitsarbeiter und nicht zuletzt Toni, der die Antennen so ausrichtete, dass auch die italienischen Sexfilme den Weg in die Tessinerstuben fanden.
Ein paar Jahre dahin, es galt die Rückkehr in das Züribiet und ins Beamtenleben zu finden, diente die ge-löste Summe aus dem Verkauf als Anzahlung an eine neue Wohnstatt. Ticino ausgeträumt, ein Reihen-haus in einer selbstverwalteten Siedlung wurde unser neues Zuhause. Dreistöckig, schmal, alternativ, modern, eine Dachterrasse mit Blick vom Säntis bis zum Etzel, eine verdichtete Wohnsiedlung die die Meinungen des Quartiers spaltete. Kinderfreundlich mit eigenem Schwimmbad, Tennisplatz und Gemein-schaftshaus eine spannende Wohnform für die Einen, Karnickel-Ställe für die Anderen. Jedenfalls fühlten wir uns wohl und engagierten uns im Erleben gemeinsamer Feste, kultureller Anlässe, basisdemokra-tischer Versammlungen. Die Kinder wurden selbständig, wir auch und erwarben bald ein Haus in Frank-reich, ennet der Saône im «schönsten Dorf im Südburgund».
Ein Traum aus goldenen Kalksteinen, bei dem man nur an einer Ecke nicht ins Freie sehen konnte, weil da noch ein Turm angebaut war, oder wie es die Wirtin in Bonnay wenig charmant ausdrückte, „ce n’est pas une maison, c’est une ruine“. Spontan war ich zu tiefst beleidigt. Immerhin hatte dieser Steinhaufen einen Namen, „Le Montagnon“. Zusammen mit den Handwerkern bauten wir die ehemalige Weinpresse und Teil der Aussenbefestigung des Châteaus mit viel Ideen, ebenso viel Ökologie und noch mehr Angespartem zu einem Bijou um, das der zu Beginn stark zweifelnde Maurer Roland nach der Fertigstellung stolz zukünf-tigen Kunden präsentieren wollte. Immerhin waren auch knapp sieben Jahre Ferien und Freizeit investiert. Eine französische Familie hat es inzwischen gekauft. Und weil wir nach der Fertigstellung quasi arbeitslos wurden, schauten wir uns weiter um.
Bei einem kleinen Bummel im „chef-lieu du canton“ stiessen auf ein leeres Lokal mit der verheissungs-vollen Anschrift «à vendre», der alten Tafel nach schon seit längerer Zeit. Eine erste Besichtigung, noch kein Blick für Details, viele Zimmer, Ebenen, alter Kram. Aber ein Stadthaus, rue du Commerce au rue de l’Espérance, Ecke Marktgasse zur Hoffnungsgasse. Mit Hintereingang an der rue des Chapeliers, der Hut-machergasse. Der Preis war klein, die Begeisterung gross, allerdings nur meinerseits. Keine neue Ge-schichte, erst mal eine Fortsetzung, aber diesmal mit definitiv neuen Erfahrungen. Baumeister Roland war wieder dabei und half mit, Strukturen aus dem 16. Jahrhundert wiederherzustellen und mit jenen des 21. zu kombinieren. Nach unseren eigenen Plänen gelangten wir zu grosszügigen und hellen Räumen auf drei Etagen; nicht ganz ohne, denn Bauten in mittelalterlichen Gassen erhalten meistens nur auf zwei Seiten Licht. Und es benötigt eine gehörige Portion an Optimismus, dass ein solcher Umbau nicht zum Albtraum, vielmehr zu einem neuen Traumhaus wird.
Auf einer Ausfahrt auf eine kleine Nebenstrasse geraten, begegnete uns wieder Mal eine dieser verlocken-den Anschriften, «à vendre». Eine Steinbrücke führte zu einer ehemaligen Mühle, zum Wohnhaus, zu Scheunen und Ställen gruppiert um einen grossen Platz direkt am Flüsschen gelegen. Ein Traum!
Eine unautorisierte Besichtigung trieb uns anschliessend geradewegs in die Arme des Immobilienhändlers. Reich wie wir nun mal sind, wollte ich mir dieses Paradies nicht entgehen lassen. Reich an Ideen, an Kraft, an Zeit und an vielleicht etwas zu grossem Selbstvertrauen, wohl verstanden. Angesichts der hässlichen Räume und der zu erwartenden Arbeiten äusserte Margrit Bedenken, die ich nicht zu teilen mochte. Sie ist wohl die Vernünftigere. Wieder zusammen mit den Handwerkern, dem Erlös aus dem Verkauf des Reihen-hauses in der ersten Heimat und viel Eigenleistung entstand ein kleines Paradies: die Moulin de Chigy. Diese Tage erhält sie neue Besitzer, junge Franzosen, reich an Idee, Kraft und Zeit.
Mit zunehmendem Alter lernt man anscheinend mit den Erfahrungen anders umzugehen; zu Weisheit zu gelangen, scheint mir ein allzu gewaltiger Anspruch. Vielleicht etwas gescheiter zu werden, kann ja an-gehen und auch ein bisschen Vernunft anzunehmen. Jedenfalls ist unser Haus Nummer 6 ein Schritt in diese Richtung. Mit 90m2 gerade noch ein Viertel der vorherigen Wohnfläche, geradeaus, ohne Treppen, beinahe neu, knappe 10 Aaren Land anstelle von Wiesen, Obstgärten und Wäldchen, überblickbar, in Rol-lator-Distanz von Einkauf, Städtchen, Dienstleistungen und dem Cave. In kommenden Jahren unsere résidence senior. Wirklich ausgeträumt? Es liegt an uns selbst.
Welschland
1965 beschied die Direktion: Weber, Sie werde zu Beginn nächsten Monat Ihren Dienst in Lausanne an-treten. Die Arbeit ist genau dieselbe wie hier in Zürich, einfach in Französisch. Gut gemeint, aber es mochte nicht wirklich beruhigen.
Montags stand ich auf der Place St. François mit dem Koffer in der einen und dem Stadtplan in der an-deren Hand. Der Personalchef empfing formell freundlich, zweisprachig, zeichnete auf dem Plan die Lage meiner Unterkunft ein, empfahl mir, mich umgehend bei Madame zu melden, Dienstantritt am Folgetag sieben Uhr im Hauptpostamt. Madame sprach ein paar Worte Deutsch, sie war in ihren Jugendjahren Weissnäherin in Zürich, und wies mir lachend ein kleines Zimmer mit Blick auf das Mädchenpensionat «Lemania» zu. Nicht gerade billig, Chemin de Mornex, aber sehr zentral. Über dem Bett hatte sie liebevoll eine Stickerei mit dem Grossmünster aufgehängt, ich soll kein Heimweh bekommen.
Wenn ich in der Mittagspause mal nachhause kam, wieselt sie aus der Küche um mich zum Kaffee ein-zuladen. Sie hatte drei Zimmer in Untermiete, eigentlich nur für junge Damen, aber ein ebenso junger Mann in gesicherter Beamtenstellung schien ihr zur Vermittlung geeignet. Wir machten das Spiel mit, wie Madame im Kaffeesatz Zukünftiges in Sachen amour zu sehen glaubte.
Beim Antritt war ich überzeugt, die welschen Kollegen nehmen das Ganze ohnehin leichter. Diese legeren Typen mit ihrem «salut mon p’tit chou», salü Schätzeli, na ja. Nie in meinem Leben habe ich derart pin-gelige Beamte angetroffen; da wurden Vorschriften noch präzise ausgeführt, nicht interpretiert. Trotzdem habe ich mich sehr wohl gefühlt. In der Suisse Romande galten weitgehend dieselben Spielregeln wie in Verwaltungskreis Zürich; gut vielleicht ausgenommen in der ferne Ostschweiz. Die Arbeit war tatsächlich dieselbe und die Kundschaft erfreulich verständnisvoll.
Der Hauptkassier, einst ein Sankt-Galler empfahl den Erwerb eines Kammes. Er akzeptierte nur gebündel-te Banknoten, deren Ecken ausgekämmt waren. Er sprach mit uns ausschliesslich französisch und kor-rigierte uns ständig. Korrektes, allerdings hörbares français fédéral. Mit seinem Stellvertreter verstand
ich mich sehr gut; wohl fand er in mir einen gleichgesinnten Kollegen, mit dem man im «Grand-Chêne»
in der Pause eine "botte de radis et deux Flûte de Bâle" nehmen konnte. Ich habe ihm dafür manchmal beim Tagesabschluss geholfen, wenn die Pause etwas lang geriet.
Wenn ich nicht gerade auf Ablösungen auf dem Land war, genoss ich die Freiheit in vollen Zügen. Zumeist zusammen mit dem frischlizenzierten Juristen René, der seine erste Arbeitsstelle bei einer Versicherungs-gesellschaft fand. Abendlicher Treffpunkt die Hotelbar Ecke Petite-Chêne/Chemin de Mornex wo man sich mit Sprachaufenthalter der Sperry-und Remingtonrand traf. Hauptsprache französisch, aber auch eng-lisch, italienisch und spanisch. Die Barmaid kannte uns: «un d’mi de Gamay, deux verres propres».
Na, es gäbe manche Episode zu erzählen, von «Madame la Marquise et ces quatre-vingt chasseurs», vom ersten Salär über 1000 Schweizerfranken, einem verschlafenen Heiratsantrag und nicht zuletzt vom
«Vous avez fait la foire?» Laut Hösli, Franzbibel der Sekundarschule Lektion 27 oder so, La foire, die Kirchweihe. Von wegen!
Zurück zum ersten Arbeitstag im Welschland: Dienstantritt pünktlich, geradewegs ins Büro zum Chef. Der sass bequem und rasierte sich gerade elektrisch. "Endlich ein vernünftiger Deutschschweizer!" Wir moch-ten uns sofort. Nach Ablauf des üblichen Sprachaufenthaltes verlängerte er ungefragt meine Zeit in Lau-sanne; Begründung, Vervollkommnung der Sprachkenntnisse, aber eigentlich eher viel Verständnis für meine heftige Liebschaft mit einer schwarzhaarigen «Gamine», für die auch er ein bisschen schwärmte…
Wie man liegt
Wie man sich bettet, so liegt man, heisst es im Volksmund, dies eher im übertragenen Sinn. Hier geht es aber tatsächlich ums Liegen, um Gewohnheiten, ehemalige und aktuelle, bequeme und gesunde.
Als frisch gebackener Korporal auf dem Nachtmarsch von Einsiedeln nach Zürich versammelte ich meine sieben Rekruten um einen grossen Haufen groben Kies an der damals noch im Bau befindende A3. Und legte mich hin, zuoberst um den Überblick zu behalten. Aus tiefem Schlaf hörte ich von weit weg das Rufen nach uns, man wollte weitermarschieren. Damals war man jung und gehärtet und ich konnte auf jeder Unterlage schlafen. Hauptsache liegen!
Heute dürfte man eigentlich solange liegenbleiben, bis die wenigen unumgänglichen Pflichten eines Rent-ners zu erfüllen sind. Trotzdem, über die Dauer von mehr als sechseinhalb Stunden macht das Liegen nicht mehr so richtig Spass. Mal ist es der Rücken, mal die Blase und sicher nicht zuletzt der Duft nach frischem Kaffee.
Irgendwann in der reiferen Jugend sagte der Hausarzt, dass das Schlafen auf der linken Seite das Herz belaste. Also richtete man sich auf eine praktische Lösung ein: Studieren links, schlafen rechts. Das half zumeist. Praktischerweise lag der Notizblock auch auf dem Nachttisch links, also Problem notieren und sich getrost auf die rechte Seite kehren. Schlafen, quasi befehlsweise. Das ging lange gut so, ausser man atmete laut in Richtung Ehefrau. Ein kleiner Schupps und schon landete man auf dem Rücken. Dann wur-de es erst so richtig laut und vertrieb Madame nachhaltig aus dem gemeinsamen Schlafgemach.
Das Links-Rechts ging lange gut. Einzig ein Beinbruch zwang zur neulichen Rückenlage. Schlafen Sie mal seitlich mit einem leicht hochgelagerten tonnenschweren Gipsbein! Ich versuchte die Bauchlage, aber wohin mit dem Gesicht und dem Teil, dass sich so überaus anständig Gemächt nennt?
In der Jugend des Alters geriet ich in eine ausgedehnte Reparaturphase. Ehrlich, bis dahin wusste ich nicht, wie unbequem und klein Spitalbetten sind können. Und besonders, wenn man tageweise liegen sollte, an Kabeln und Schläuchen gefesselt. Natürlich findet man nachts keinen Schlaf und die Nacht-schwester meint lapidar: Sie sind hier um zu genesen, nicht zum Ausschlafen. Anna, die spanische The-rapeutin riet auf der Narbe zu liegen, um diese zu entlasten. Auf dem Herz zu schlafen, also links, sei nicht ungesund, das sei ein Muskel wie jeder andere.
Gestern stand in der Zeitung, das Schlafen auf der rechten Seite sei höchst ungesund; dabei stehe der Magen oberhalb der Speiseröhre und damit fliesse die Säure zurück. Wie recht der hat! Gut, war der Abend wieder mal etwas zu lange und der Calvados zu viel, dann war schon zum Schlafen im Sitzen angeraten. Aber heutzutage sind die Abende eher kurz und der Selbstgebrannte wird selten, und wenn auch nur noch aus kleinen Gläschen genossen.
Der Schlaf der Gerechten, auch der Ungerechten, links, rechts, wie auch immer. Auf ewig wird man rück-lings gebettet, auch wenn man Lebtags immer seitlich schlief.
Zivilcourage als Überlebenschance
Zeit für grosse Demonstrationen der Eigenständigkeit. Eine Minderheit, die man meinte, vernachlässigen zu können, lancierte eine Initiative, die der classe politique sichtlich Mühe bereitete, besonders als es galt, die gegenteilige Meinung dem Volk als Willensakt der politischen Vernunft zu verkaufen. Die Minderheit wurde zur Mehrheit, vor allem, weil sie den Grundton des Volkes - "Jetzt reichts denen da oben!" - treff-lich gut erwischte. Unbestreitbar sind Aktionen dieser Art ein selbstverständlicher Vorgang demokrati-schen Lebens. Die republikanische Staatsform hat schliesslich sogar mit Volksaufständen ihren Anfang genommen. Obwohl mit derartigen Demonstrationen gegen Missstände, wie in diesem Fall die absolute Liberalisierung des europaweiten Gewerbeverkehrs, protestiert wird, darf der Ausgang nicht überbewertet werden.
Im Vorfeld einer Abstimmung wurde der Urner Landammann in den Medien als couragierter Gegner der offiziellen Meinung dargestellt. Es wäre aber falsch, die schweizweite Identifikation mit dem mit leichter Klinge fechtenden Innerschweizer als Ausdruck von gemeinsamer Zivilcourage zu werten. Der Begriff Zivilcourage bezeichnet eine sehr persönliche Eigenschaft und hat nichts zu tun mit gemeinsamem Em-pfinden. Vielmehr verhindert das kollektive Auflehnen die wieder dringend gefragte Eigenverantwortlich-keit unserer Bürgerinnen und Bürger. Eigenständigkeit, die im angeblichen Zeitalter der Selbstverwirkli-chung einer der Grundpfeiler sein müsste, weicht immer öfters dem Anpassungsdruck der Wirtschaft und der Gesellschaft. Abstimmungsresultate, wie sie die Alpeninitiative brachte, sind Ausdruck eines kurz-fristigen, vielleicht unbesonnenen Ausstieges aus den aktuellen politischen Realitäten. Dabei wäre gerade in der Zeit des wirtschaftlichen Umbruches, der allerorts freiwilligen oder provozierten Umstrukturie-rungen, Mut zum Engagement, zum Andersdenken, dringend nötig. Zivilcourage kann aber keinen an-deren Sinn haben, als den Druck zur Anpassung dauernd zu hinterfragen. Es wagen, querzudenken.
Allerdings wird dies unserer Jugend, die später einmal entscheiden sollte, schon zu Beginn und radikal ausgetrieben. In den Schulen und den Ausbildungen wird der junge Mensch möglichst frühzeitig in die Norm eingeschliffen; weniger zum eigenständigen Denken, als zur Vorbereitung in eine vermeintliche Lebenstauglichkeit. Die Konkordanzfähigkeit wird schon früh geübt; untauglich, ja sozial nicht verträglich gilt, wer durch sein Verhalten Reibung erzeugt. Zivilcourage wirkt störend im gemeinsamen Streben nach den im Leben wichtigsten drei "K"s: Konsum, Karriere und Kompromissbereitschaft.
Nur ein Beispiel: Geradezu klassisch ist die Art, wie sich ein Teil angehender Akademiker aus der allge-meinen Wehrpflicht abmeldet. Nicht etwa durch einen Akt der Verweigerung, vielmehr wird das psychia-trische Hinausschleichen der persönlichen, möglicherweise Folgen nach sich ziehenden Auseinanderset-zung vorgezogen. Zivilcourage lebt vom Mut zur Argumentation, der nicht nur widersprochen werden kann, sondern die den Antritt des Gegenbeweises verlangt. Die Schulen und Universitäten, die Wirtschaft und die Politik wären gut beraten, die Zivilcourage zu kultivieren, als Anforderungsprofil zu fordern. Es könnte für ein gemeinsames Überleben eine der Chancen sein.
26.08.2001
Züritüütsch
Das zweitwichtigste Buch im elterlichen Haushalt war ein Werk von Bächtold & Weber, das „Zürichdeu-tsche Wörterbuch“. Unser Vater sprach einen ausgesprochen schönen Dialekt, so richtig währschaftes Zürichdeutsch. Im Gegensatz zu unserer Mutter, die kam aus dem Thurgau. Nach jeder Klassenzusam-menkunft mussten wir ihr wieder Nachhilfe geben. Aber zurück zu Vater. Er profitierte auch von einer schönen, männlichen Stimmlage, die ihm das Reden leicht machte, die gut ankam und das wusste er auch. Familiäre Ereignisse kommentierte er jeweils in Gedichtform, das „Värslibrünzle“ fiel ihm leicht, wie man dies so nannte. Passend zu anderen Gelegenheiten rezitierte er auch Verse von Wilhelm Busch, aus dem wohl drittwichtigsten Band im Büchergestell. Er schrieb gut und gerne und hinterliess mit siebzig seinen Nachkommen einen umfassenden „Rückblick auf mein Leben“, allerdings weder in Zürichdeutsch noch in Versform.
Ich selbst habe da anscheinend einiges von zuhause mit-bekommen. Aber nachdem ein Schalterkunde bemerkte, „Sie sind wohl nicht von hier“, bemühte ich mich, meinen Dialekt den Stadtzürchern anzu-passen. Später hat man da und dort einiges aufgelesen, sei es aus dem Weinland, dem oberen Glattal; man passt sich eben trotz allem an.
Es fällt auf bei unserem Enkel Marlon: Im Zürioberland tönen die A’s und O’s nach wie vor dunkler als im übrigen Züribiet. Als zeitweiliger „Uschtemer“ gelte ich als „heruntergekommene Oberländer“ und für meine ehemaligen im Oberland gebliebenen Klassenkameraden töne ich auch nicht mehr so recht ein-heimisch. So tönt halt mein heutiges Idiom etwas wie „auf dem Weg vom Glatttal ins Zürioberland“.
Wohl tönen die Zürcher für die übrigen Schweizer alle gleich, aber man erkennt schnell, ob jetzt jemand „en Ämtler, en Seebueb, en Wyländer oder ebe en Oberländer isch“. Aber es gibt auch Gemeinsames. Zur üblichen Frage, wie es einem irgendwo gefällt, heisst es in unserer Sprache: „Es isch wie überall; es hät e paar glatti und e paar blödi Cheibe“. Gerne erinnere ich mich deshalb an René, der auch so ein boden-ständiges Zürichdeutsch redete. Gut, René gehörte ab und an zu „de Chrüüzscheibe“, aber vor allem zu „de glatte Cheibe“ und deshalb mochte ich ihn auch recht gut. Spät erkannte ich, dass er auch ein begna-deter „Värslibrünzler“ war. Heute verbringt er mit über achtzig seinen Lebensabend irgendwo in Kroatien. Einer seiner besonderen Verse soll an ihn erinnern:
Es cheibet und cheibet
I öisem liebe Züribiet, da läbt es fröhlichs Volk
Es hät uf sini ruchi Spraach en ganz en bsundre Stolz
Ich meine s'Wörtli "Cheib", me ghörts uf Schritt und Tritt
Vom chliine Bueb, vom alte Maa, als Befehl und au als Bitt
Am Morge gaats mit cheibe los und cheibet bis i d'Nacht
De ganz Tag cheibets hin und här, es isch e wahri Pracht
Drum losed jetz, s'isch intressant, was als für Cheibe git
in öisem Zürihegel-Land, en Frömde glaubts is nid
Du gfäälte Cheib, dä ghört me vill, Du schlächte Cheib no meh
Heb d' Schnörre zu, Du Himmelcheib, säb tuet eim friili weh
Zum Schätzli säit me liebe Cheib, Frässcheib, das isch e Schand
Als Schnörri- und Plagööricheib isch eine bald bekannt
Du gmeine Cheib isch sältner scho, mer nimmts da zimli gnau
En feisse oder magere Cheib, hät mänge no zur Frau
Säit eine "Potz verreckte Cheib" so lueget me nöd umme
En Schwindler gilt als Lügicheib, en Lölicheib als Dumme
Luuscheib, das isch es Kosewort, Söicheib, das hät en Grund
Chrüüzcheibe findt mer überall, scho tönt's, Du cheibe Hund
Au Süffelcheibe trifft mer a im Wiiland und am See
En Giizcheib und en Huerecheib au überall chasch gsee
De dräckig und de eländ Cheib, sind meischt am gliiche Ort
Und Himmel-Hergott-Stärnecheib isch gwüss es saftigs Wort
Verruckte und verreckte Cheib, au Glünggicheib tönt ruuch
En bschissne und en Fötzelcheib isch hüt no im Gebruuch
Cheib furt , jetz hört das cheibe uf, jetz wämmer wieder tanze
Uf eimal häni au en Cheib und cheibe uf de Ranze
René Hedinger (> gest. Juli 2018)
Nachsatz: Das Zürichdeutsche Wörterbuch steht heute in meinem Büchergestell, der „Busch“ ist wohl zu meiner Schwester Vre, die eigentlich Verena heisst, gelangt; jedenfalls rezitiert auch sie bei passender Gelegenheiten seine Verse. Mämgsmaal eerbt me au Gschyds.
75 und kein bisschen leise
Gerade mal zwanzig fanden sich bei Kaffee und Gipfel in der «Genuss Confiserie Graf» in Rheinfelden. Schliesslich hatten alle die zugegen waren, das 75ste erreicht. Wer nicht dabei war, hat selbst schuld. Organisator Peter Egli, assistiert vom offiziellen OK, hatte sich vorgenommen, «seine» Stadt im besten Licht zu zeigen. Kompetent geführt von Fredi gings durch den Park und die Gassen, notabene auch durch die Schelmengasse, in das bemerkenswerten Rathaus aus dem sechzehnten Jahrhundert bis zum Zapf-hahn der «kleinsten Brauerei» Rheinfeldens. Das dominante «Schlössli», aktuell in dänischer Hand und der untergegangene Salmen-Bräu haben wieder eine wenn auch noch bescheidene Konkurrenz in ihrer Heimatstadt erhalten. Dass der Berichterstatter als passionierter Weintrinker im Rahmen des Anlasses trotzdem zu einer kühlen Flûte aus Plastik griff, war reine Neugier. Mit dem Glockengeläut und dem zwei-maligen «Määä» der Rheinfelder Geiss war das Signal gegeben, sich definitiv dem Mittagsmahlen zuzu-wenden. Im «Schiff am Rhein» selbstverständlich. Dort galt es, zuerst die Fotos «alt + neu» unserer ehemaligen Wohnstätten zusammen zu suchen. Nicht einfach - stand das Haus denn überhaupt noch? – bis zu jenen, deren Elternhaus sich einfach nicht grundlegend veränderte. Aber zurück zum Mittagessen: Der neue Koch packte die Chance, sein Können voll auszuspielen, das OK war begeistert, der Organisator sichtlich erleichtert.
Und wenn zwanzig Fünfundsiebzigjährige ihre Erinnerungen ausbreiten, steigt der Lärmpegel erheblich. Wohl nicht nur, weil Angehörige der dritten Lebensphase etwas an Hörvermögen verlieren, nein auch der Pinot unter dem Etikett «Magdener» trug dazu bei, leisere Töne noch etwas mehr zu dämpfen. Man ist sich bewusst, vielleicht fehlen auch das nächste Mal ein paar und man zählt jene auf, die diesmal und
jene die zumeist just bei diesem Anlass nicht anwesend sind, nicht sein wollen, nicht sein können. Natür-lich ist es nicht jedermanns Sache, irgendwo dieser Tradition zu folgen; Klassenzusammenkünfte sollten, wenn möglich gleich im ehemaligen Schulhaus stattfinden. Denkt man. Aber Hand aufs Herz, hat unsere damalige Wohngemeinde Rüti auch nach sechzig Jahren derart bemerkenswerte Attraktionen zu bieten? Unser Dorf war nie eine Bauerngemeinde in der es sich quasi geschlossen lebt; kurz, wer etwas lernen und erfahren wollte, musste über die kommunalen Grenzen hinaus. Vor wenigen Jahren kam ich mir, allein auf dem Bahnhofplatz vor der ehemaligen Hauptpost reichlich verloren vor. Heimat ist wo anders. Trotzdem, Erinnerungen, dass man als junger Mensch in diesem von der Maschinenfabrik geprägten Ort lebte, verlangen weiterhin nach Kontakten, vielleicht auch nur um zu beweisen: Es gab ein Leben vor dem Berufsleben, vor der Kindererziehung, vor dem Erwachsensein, ein Leben vor den vergangenen sechzig Jahren. Natürlich auch mit etwas Nostalgie, die oder den hätte man auch gerne als «Schulschatz» im Herzen behalten.
Und plötzlich wurde es wiederum still im Gastraum, die baldige Zugsabfahrt, vielleicht auch der Partner, die Partnerin zuhause, drängten zum Aufbruch. Zurück blieben zwei, daraus wurden drei und zuletzt sass man zu viert vor dem «Feldschlösschen» an der zurückgekehrten Sonne. Bis ihr Zug eben auch den Gang zum Bahnhof forderte. Aber das gepflegte Zähringer-Städtchen lockte zu weiteren Gängen durch die Gas-sen. Jedenfalls, den noch frühen Abend beschlossen zwei, früher Nachbarn über die Geleise hinweg, im «Rössli» bei leckeren Lammhüftchen mit Risotto und einem Fläschchen Magdener mit dem Versprechen: Wir kommen bestimmt in zwei Jahren, dann eben wieder einmal in Rüti im Zürioberland.